Kenia
Wo sichere Altersversorgung ein Fremdwort ist
Lengoet ole Nayau, genannt ole Yeraa, der Sohn des Yeraa, glaubt, dass er etwa 60 Jahre alt ist. Aus seinem Personalausweis geht hervor, dass der Massai 1942 geboren wurde und also im besten Rentenalter ist. Doch von einer Rente hat der drahtige alte Mann noch nie gehört. Ole Yeraa ist Nomade und einer der angesehensten Heiler im Distrikt Nord-Kajado, etwa anderthalb Autostunden südlich von Nairobi. Als solcher ist er unermüdlich unterwegs, um Kranke zu heilen und die Zukunft zu weissagen. In einer Höhle, die er sich mit einem Bienenschwarm zur Abwehr von Schlangen und Leoparden teilt, unterrichtet ole Yeraa die jungen Krieger in den Heilkünsten und Traditionen der Massai. Nur weil er für seine Tätigkeit bezahlt werden muss, in Form von Ziegen, Schafen oder auch nur einer Kalebasse voll Milch, geht es ole Yeraa nicht schlecht. Eine kleine Rente würde ihm dennoch nicht schaden, denn Yeraa hat drei Frauen und 17 Kinder und er muss drei Hüttensiedlungen unterhalten. Aber wie die Mehrheit der rund 34 Millionen Kenianer hat er keine gesetzlichen Altersbezüge.
Selbst wenn, würde es ihm nicht weiterhelfen. "Unsere Rentner sind zur Armut verdammt", schrieb kürzlich der seriöse "The East African". Bei einem maximalen Beitrag von umgerechnet 5 Euro monatlich, den sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer teilen, ist die einmalige Ausschüttung des National Social Security Fund (NSSF) beim Erreichen des Pensionsalters von 55 Jahren so gering, dass sie den Beziehern kein Auskommen sichert. Beamte, Lehrer oder Justizangestellte erhalten umgerechnet weniger als 15 Prozent ihres Monatseinkommens in Form einer Pension, bei der Hälfte von ihnen liegt der Satz sogar bei nur acht Prozent ihrer früheren Bezüge.
Von rund 15 Millionen Kenianern, die einer geregelten Arbeit nachgehen, zahlen knapp mehr als eine Million Rentenbeiträge. Und die werden so schlecht verwaltet, dass sie mit dem eingezahlten Geld nicht einmal den Inflationsausgleich erwirtschaften. Jahrelang war der NSSF eine Milchkuh für Politiker und gut vernetzte Betrüger, die dem NSSF überteuerte Grundstücke andrehten, die Verwaltung mit Günstlingen aufblähten oder gleich in die Kasse griffen. "Leider ist unsere Geschichte durch Skandale und fehlgeleitete Investitionen überschattet", schreibt der NSSF selbst auf seiner offiziellen Website. Beliebter sind daher betriebliche Rentenkassen. Allerdings werden auch sie gelegentlich ausgeplündert - wie etwa die Kasse der Eisenbahngesellschaft.
Wer in Kenia Geld übrig hat, sichert sich privat für das Alter ab. Doch das ist nur eine Minderheit. Nach aktuellen Schätzungen gehören etwa 1,6 Millionen Kenianer zur Mittel- oder Oberklasse. Erspartes investieren sie vornehmlich in die Ausbildung ihrer Kinder auf teuren Privatschulen. Darüber hinaus sind Investitionen in Grundstücks- und Immobiliengeschäfte beliebt.
Auch die ärmste Beschäftigtengruppe, die Hunderttausende Nachtwächter und Hausangestellten, die kaum mehr als den gesetzlichen Mindestlohn von knapp 80 Euro nach Hause bringen, träumen von einer eigenen Shamba auf dem Land, einem kleinen Feld, auf dem sie im Alter Mais und Bohnen anbauen können. Margret Kageha, die seit 30 Jahren in Nairobi im Dienst europäischer Ausländer steht, hatte all ihr Erspartes in Kühe investiert. Ihr Vater kümmerte sich daheim, nahe der ugandischen Grenze, um die Tiere. Bis die Pokot-Nomaden einfielen und das Vieh stahlen. Seitdem spart die 50-Jährige für ein Haus auf dem kleinen 20 mal 50 Meter großen Acker, den sie gekauft hat. "Solange ich noch kräftig bin, arbeite ich weiter", sagt sie. So hält es die Mehrheit der Kenianer.
Der Autor ist freier Journalist in Nairobi.