Rente mit 67
Die Anhebung des Eintrittsalters ist ein Riesenschritt. Ob er reicht, ist nicht ausgemacht.
Die Rente ist sicher!" Dieser berühmte Satz des ehemaligen CDU-Sozialministers Norbert Blüm ist in diesem Frühjahr mit einem Paukenschlag zurück auf die politische Bühne gerückt. Anlass: Die Große Koalition hat per Gesetz das Rentenalter auf 67 Jahre angehoben, SPD und Union haben im Bundestag mehrheitlich zugestimmt, der Bundesrat hat das Gesetz durchgewunken. Und die Betroffenen, die Rentner von morgen? Ihnen bleibt nur der wütende und anhaltende Protest. Der allerdings ist - anders als bei so manch anderem Gesetz - keinesfalls auf einige Lobbygruppen beschränkt, und er droht auch nicht aus dem öffentlichen Bewusstsein zu verschwinden.
Kritiker unter den Sozialdemokraten wie der Ökonom Karl Lauterbach schreiben mittlerweile ihren Ärger in Bücher hinein. Und die Spitze des Deutschen Gewerkschaftsbundes lässt kaum eine Gelegenheit aus, der Rente mit 67 den Kampf anzusagen. Auch in den Landtagswahlkämpfen des kommenden und dann im Bundestagswahlkampf des Jahres 2009 wollen sie ihn artikulieren. Ihr Argument: Die Rente ist jetzt noch viel weniger sicher als sie es zu Blüm'schen Zeiten war.
Fest steht, dass ausschließlich eine Große Koalition in der Lage war, dieses Rentengesetz umzusetzen. Keiner der beiden Regierungspartner hätte in Koalition mit kleineren Parteien die gesellschaftliche Legitimation für eine so weitreichende Änderung in einem der gewichtigsten Sozialsysteme besessen. Rentengesetze treffen nun mal die Menschen in einem Alter, in dem sie zu wenig Kraft besitzen, um sich den Wirkungen zu entziehen. Ein Grund mehr also, in diesem Bereich für gesetzgeberische Änderungen größeren Ausmaßes breiten gesellschaftlichen Konsens zu suchen. Allerdings ist fraglich, ob dieser politische Drahtseilakt bei der Rente mit 67 wirklich geglückt ist. Weite Teile der SPD erinnern sich bis heute an eine Überrumpelungstaktik ihres Vizekanzlers Franz Müntefering, der beinahe ohne innerparteiliche Vorbereitung kurz nach der Koalitionsbildung seine Pläne offenbart hat. Ausgerechnet die SPD, die Partei der arbeitenden Bevölkerung, treibt die Menschen in eine "flächendeckende Rentenkürzung", wie Kritiker das Rentengesetz nennen? Und auch die gewerkschaftliche Kritik am Gesetz findet ihren Resonanzboden über die Organisation hinaus, weil es der Koalition bislang nicht gelungen ist, plausible Antworten auf die Fragen der Bevölkerung zu geben. War dieses Gesetz erst der Anfang, droht bald die Rente mit 70? Welche Unternehmen werden Menschen weit über 60 in Zukunft beschäftigen? Wird unweigerlich in Armut fallen, wessen Kraft in diesem Alter nicht zur Berufsausübung ausreicht?
Was Sozialdemokraten und Union in diesem Frühling beschlossen haben, ist zweifellos eine Kürzung der Rente. Schließlich wird jeder ab dem Jahrgang 1947 später Rente und damit die Rendite dessen, was er ein Arbeitsleben lang eingezahlt hat, in Anspruch nehmen können. Und auch, wenn diesem Verlust an Rentenzahlungen eine Rentenanhebung gegenübersteht, weil wer länger arbeitet, auch länger Beiträge zahlt, bleibt die Bilanz für den Einzelnen negativ. Wer 1947 geboren ist, wird nach 2012 erst mit 65 Jahren und einem Monat in Rente gehen können. Für die folgenden Jahrgänge verlängert sich der Arbeitsprozess um jeweils einen Monat, ab dem Geburtsjahr 1959 um zwei Monate, sodass der Jahrgang 1964 der erste ist, der von 2029 an erst mit 67 Jahren in Rente gehen kann.
Die Bundesregierung hat diese gestaffelte Anhebung des Renteneintrittsalters nicht nur als ökonomisch notwendig, sondern auch als zumutbar bezeichnet. Schließlich seien aktuelle und nahe Rentenjahrgänge nicht betroffen. Und wer jung ist, der könne sich auf die neuen Regelungen einstellen. Und wirklich: Spätestens mit der Einführung der Riesterrente, also der privaten Zusatzversorgung für das Alter, ist den Deutschen klar geworden, dass ihre gesetzliche Rente in Zukunft nicht mehr ausreichen wird, den gewohnten Lebensstandard im Alter beibehalten zu können. Betriebsrenten und private Anlageformen, staatlich gestützt durch das Riestersystem und die Verlagerung der Steuerlast vom Arbeits- ins Rentenalter, sind seither gesellschaftlich anerkannte und auch genutzte Möglichkeiten zur Alterseinkünftesicherung. Man kann also sagen: Die Deutschen haben inzwischen verstanden, dass sie in jungen Jahren vorsorgen müssen. Umso mehr verstehen viele Menschen gerade das großkoalitionäre Rentengesetz als Betrug an ihrer Lebensplanung. War der erste Jahrgang - 1947 - doch zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Rente mit 67 schon 60 Jahre alt und hat keine Zeit mehr, sich finanziell auf Änderungen des Renteneintrittsalters einzustellen. Etwas, das auch den nächst folgenden Jahrgängen, sie sind heute 50 und älter, kaum gelingen wird.
Wozu das ganze Manöver also? Die Begründung dafür ist von vielen Ökonomen und auch Politikern gegeben worden. Eine alternde Bevölkerung, in der in den kommenden 20 Jahren weit mehr Menschen in Rente gehen werden, als ihnen Beitragszahler folgen, muss die Bedingungen des Generationenvertrages anpassen. Simpel ist die Erkenntnis, dass wenige Zahler umso mehr belastet werden, je mehr Rentner sie finanzieren müssen. Reagiert die Politik darauf nicht, riskiert sie den Bruch des Generationenvertrages. Der Verzicht einer Anhebung des Renteneintrittsalters würde beinahe zwangsläufig zu emporschnellenden Beiträgen zur Rentenversicherung führen. Schließlich wäre dem nur durch Rentenkürzung beizukommen. Und ein solcher Beschluss wird angesichts der sich immer weiter verfestigenden "Rentner-Demokratie" politisch von Jahr zu Jahr unwahrscheinlicher. Münteferings Rente mit 67 war und ist also alternativlos.
Geradezu blauäugig jedoch wäre es, den Versprechen der Bundesregierung in Sachen Beitragsstabilität und Rentenniveau allzu viel Vertrauen zu schenken. Eine gute Botschaft für Jüngere hat die Bundesregierung das Rentengesetz genannt, weil es den Beitragssatz bis 2009 bei 19,9 Prozent stabil halte, der Satz danach sogar sinken könne und bis 2020 nicht über 20 Prozent des Bruttolohnes steigen werde. Und in Aussicht gestellt hat die Regierung, dass das Rentenniveau bis 2020 nicht unter 46 Prozent und bis 2030 nicht unter 43 Prozent des durchschnittlichen Nettolohnes sinken wird. Beide Versprechen jedoch unterschlagen die Unwägbarkeiten der künftigen Konjunkturentwicklung. Wer will schon heute einigermaßen stichhaltige Aussagen darüber treffen, welche Auswirkungen die rasante Globalisierung auf nationale Rentenparameter in 20 Jahren haben wird? Steuerschätzer und Wirtschaftsexperten haben ja gerade in den zurückliegenden Jahren eindrucksvoll bewiesen, wie wenig haltbar selbst ihre Kurzzeitprognosen sind. Und nun sollen die Menschen ihre eigene Rentenvorsorge auf derartige Prognosen über Jahrzehnte hinweg aufbauen? Die Skepsis und teilweise Ablehnung der Rente mit 67 ist zumindest verständlich.
Zahlreiche Gegner des Rentengesetzes setzen nun darauf, die Neuregelung doch noch zu Fall bringen zu können. Eine "Ausstiegsklausel" im Gesetz macht ihnen Hoffnung. Danach ist dem Gesetzgeber aufgegeben, in regelmäßigen Abständen die Beschäftigungssituation älterer Menschen festzustellen und gegebenenfalls Änderungen am Rentengesetz festzulegen. Schließlich fußt das Gesetz auf zwei wesentlichen Annahmen: Zum ersten geht die Regierung davon aus, dass die Arbeitsfähigkeit der Menschen in Zukunft wegen der guten Gesundheitsfürsorge höher als heute liegen und damit Beschäftigung mit 67 durchaus möglich sein wird. Und zum anderen rechnet man mit einem steigenden Beschäftigungsgrad Älterer, denn sie sind gut ausgebildet und erfahren und weniger Job-Konkurrenz ausgesetzt, weil die Nachfrage Jüngerer nach Jobs rein zahlenmäßig zurückgehen wird. Allerdings gilt auch hier: Wer weiß heute schon, ob künftige Regierungen auf den einsetzenden Fachkräftemangel nicht vielleicht mit einem lockereren Zuwanderungsgesetz reagieren? Dann ginge die Rechnung für einheimische Ältere nicht auf.
Mit einer Rückkehr zum Renteneinstieg mit 65 Jahren ist trotzdem nicht zu rechnen. Schon die Gesetze der Demografie und Ökonomie sprechen dagegen. Allenfalls marginale Neuregelungen für flexiblere Einstiege ins Rentenalter sind zu erwarten. Wer die unterschiedlichen politischen Interessen etwa von Frauen oder körperlich Arbeitenden im Hinterkopf hat und sich noch an die staatlichen Subventionsprogramme erinnert, die in früheren Jahren ältere Mitarbeiter in die Rente getrieben haben, der muss sich jedoch sorgen, ob künftige Koalitionen nicht noch mehr Verwirrung stiften werden als sie das Rentengesetz in diesem Frühjahr schon ausgelöst hat. Denn die Möglichkeit, nach 45 Beitragsjahren abschlagsfrei mit 65 Jahren in Rente gehen zu können, ist schon jetzt ein politisches Zugeständnis im Gesetz.
Genauso, wie die vielfältigen Ausnahmen, etwa für Erwerbsgeminderte und Altersteilzeit, als Eingeständnisse des Gesetzgebers dafür verstanden werden können, dass man ein historisch gewachsenes und zum Teil nur noch von Experten zu verstehendes Rentenrecht eben nicht ändern kann, ohne politisches Porzellan zu zerschlagen. Und es bleibt die Erkenntnis, dass die Rente (mit 67) genauso wenig sicher ist, wie sie es zu Blüm'schen Zeiten war.
Die Autorin ist Korrespondentin des Berliner "Tagesspiegel".