ARBEITSWELT I
In einem Seniorenheim in Göttingen ist fast ein Viertel der Beschäftigten älter als 50 Jahre. Betreiber und Bewohner profitieren davon.
Geduldig führt Birgit Schwiederowski immer wieder die Gabel zum Mund der Frau neben ihr. Die 96-Jährige, an deren Bett sie sitzt, brabbelt zufrieden vor sich hin. Schlager dudeln aus dem Radio auf dem Nachttisch. Der Kuchen, eine Art Schwarzwälderkirschtorte, schmeckt ihr genauso wie der Milchkaffee aus der Schnabeltasse. Schwiederowski lässt sich Zeit, redet mit der Bettlägerigen und geht erst, als diese offensichtlich satt ist.
Kaffeezeit im "Luisenhof", einem Alten- und Pflegeheim im niedersächsischen Göttingen: Die Mitarbeiter des Wohnbereichs versorgen die rüstigeren Bewohner im Gemeinschaftsraum. Schwiederowski aber ist von einem extra Betreuungsdienst des Hauses und kommt auf die Etage, um sich um die zeitaufwändigeren Fälle zu kümmern. Das war nicht immer so. Die 56-Jährige hat zehn Jahre lang selbst einen Wohnbereich geleitet. Am Ende musste sie sich eingestehen, dass es sie überforderte. Sie war sogar neun Monate lang krank. Im vergangenen September fing sie in einer anderen Abteilung an. Jetzt besucht die energische kleine Frau mit der rauen Stimme und den rotgefärbten Haaren täglich die Bewohner zweier Wohnbereiche. Sie macht mit ihnen Gedächtnisspiele, hilft den Mitarbeitern mittags beim Füttern, organisiert Tagesausflüge und Theaterauftritte von Schulklassen im Pflegeheim. "So denke ich, dass ich noch viele Jahre arbeiten kann. Sonst hätte ich das vielleicht nicht geschafft", sagt Schwiederowski zufrieden.
46 von 200 Mitarbeitern in dem privaten Seniorenheim sind älter als 50 Jahre. Sie arbeiten genauso als Pfleger, Haustechniker und Berater wie ihre jüngeren Kollegen und Kolleginnen. "Alter ist für uns relativ", sagt Geschäftsführer Michael Eisenberg. "Wenn man sieht, dass unsere Bewohner 70, 80 Jahre sind, geht man da anders mit um." Bei der Einstellung sei nur das Profil des Bewerbers wichtig. Und wenn Probleme auftreten wie bei Birgit Schwiederowski, versuche er zunächst, den Arbeitsplatz so zu gestalten, dass seine Mitarbeiter weiterarbeiten können. Für die 280 Bewohner, also die Kunden des Hauses, bietet das Vorteile, ist sich Eisenberg sicher: "Die sind teilweise zehn Jahre hier, da ist eine Pflegekraft mehr als eine Pflegekraft." Langjährige Mitarbeiter identifizierten sich außerdem stärker mit dem Unternehmen. Die zehn- bis zwölfköpfigen Teams in den Wohnbereichen seien bewusst altersgemischt, auch die der Hausmeister und Putzfrauen. "Die Älteren mit der Berufs- und Lebenserfahrung stehen den Neuen hilfreich zur Seite." Als vor anderthalb Jahren die ganze Pflegeaufsicht auf Computer umgestellt wurde, war es allerdings umgekehrt. "Da fällt es oftmals den Jüngeren deutlich leichter, drauf zuzugehen."
Langfristige Bindung an den Arbeitgeber bedeutet in einem Pflegeheim auch, jungen wie alten Mitarbeitern die Arbeit so gelenkschonend wie möglich zu gestalten. Also benutzen sie Geräte, um Bettlägerige per Knopfdruck vom Bett in den Rollstuhl heben zu können. Auch die Badewannen sind automatisch verstellbar. Außerdem nähmen die Angestellten zum Beispiel an Rückenschulungen und Fortbildungen über Arbeitssicherheit teil, so Eisenberg.
Von Fortbildungen kann Irene Fischer ein Lied singen. Die Frau mit der schwarzen Lederjacke, der orangen Bluse und den kurzen, schwarz-roten Haaren hat einen dicken Ordner voller Nachweise über Kurse zu Gesprächsführung, Öffentlichkeitsarbeit und Verkaufsförderung in ihrem Büro stehen. Vor acht Jahren bekam die gelernte Bauzeichnerin im "Luisenhof" eine Stelle als Beraterin. Da war sie 50 Jahre alt und hatte nie in einem Altenheim gearbeitet.
Heute stellt sie neuen Kunden das Haus vor, erklärt, wo sie sich anmelden müssen und wo sie Anträge für die Finanzierung stellen können. Viele kommen gerade aus dem Krankenhaus und brauchen nur für kurze Zeit Pflege. Sie sorgt dafür, dass die Kunden ihr Zimmer bekommen und bleibt Ansprechpartnerin für Probleme. Die Kollegin, mit der sie sich die Arbeit teilt, ist 30 Jahre jung. "Man bleibt immer auf dem neuesten Stand", erklärt Fischer. Sie habe außerdem mehr Lust auf den Außendienst als ihre Kollegin. Diese arbeitet dafür gerne mit dem Gerät, das Fischer gar nicht leiden kann: dem Computer. "Wenn sie einen Brief schreibt, gehe ich raus", sagt Fischer mit einem Augenzwinkern.
Die Autorin ist Volontärin bei "Das Parlament".
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