FRANKREICH
Staatspräsident Nicolas Sarkozy irritiert mit einer eigentümlichen Wirtschafts- und Finanzpolitik
Seinem Ruf als quirliger Hansdampf wird der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy derzeit in jeder Hinsicht gerecht. Nicht immer zum Wohlgefallen der Nachbarn. Einer seiner jüngsten Coups: Kaum waren die bulgarischen Krankenschwestern nach jahrelanger libyscher Gefangenschaft wieder in Freiheit, machte Sarkozy dem Revolutionsführer Gaddafi seine Aufwartung; im Gepäck ein Partnerschaftsabkommen, in dem vereinbart wird, dass Frankreich Libyen einen Kernreaktor liefert, der Energie für die Entsalzung von Meerwasser bereitstellt. Der FDP-Außenpolitiker Werner Hoyer äußerte Zweifel an der Seriosität des gesamten Unterfangens. Er vermisst einen "intensiven europäischen Abstimmungsprozess".
Zuvor hatte Angela Merkel beim Poker um den europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern EADS das Ansinnen Sarkozys pariert, in dem Konzern den Einfluss seines Landes zu mehren: Mit EADS-Boss Louis Gallois, Airbus-Chef Thomas Enders und dem Verwaltungsratsvorsitzenden Rüdiger Grube ist das deutsch-französische Gleichgewicht fürs erste austariert. Ein zentraler Konflikt mit Berlin ist indes nur vertagt: Im Herbst soll über den EADS-Aktionsärspakt beraten werden - wobei der Plan des Pariser Präsidenten im Raum steht, über eine Aufsto-ckung der französischen Staatsquote die Position der dortigen Regierung zu stärken.
Und schon zeichnet sich ein neues industriepolitisches Kräftemessen ab: Laut Medienberichten will Sarkozy den 34-Prozent-Anteil von Siemens am deutsch-französischen Atomkonzern Areva übernehmen, um mit den einheimischen Unternehmen Alstom und Bouygues einen Energieriesen zu formen. Noch gut in Erinnerung ist, dass dereinst auf Druck des Wirtschaftsministers Sarkozy das deutsch-französische Pharmaunternehmen Aventis zum Pariser Konkurrenten Sanofi wechselte, obwohl man sich schon mit Novartis in der Schweiz einig war.
Der FDP-Fraktionsvize im Bundestag Rainer Brüderle kritisiert die "hemmungslose französische Machtpolitik". Auch Brüssel und die Euro-Länder sehen sich mit Sarkozys forschem Auftreten konfrontiert. Hinter seiner Formel von einer "intelligenten und dynamischen Anwendung des Stabilitätspakts" steht die Forderung, die von der EU auferlegte Etatdisziplin zu lockern.
Allerdings wurde Wirbelwind "Sarko" in Brüssel ein Nasenstüber verpasst: Er musste sich verpflichten, die Neuverschuldung in Frankreich wie vereinbart im Prinzip 2010 auf null zu fahren, nur im Notfall darf Paris dies auf 2012 verschieben. Auf Granit bei der Europäischen Zentralbank (EZB) wie bei den EU-Partnern stößt der Staatschef mit seinem Versuch, politisch Einfluss auf die EZB zu nehmen, um so einen schwächeren Euro-Kurs zwecks Ankurbelung der Exporte und niedrigere Zinsen zur Wachstumsförderung durchzusetzen. Doch Sarkozy gibt nicht auf: Finanzministerin Christine Lagarde soll nun einen "Dialog" mit der EZB aufnehmen, um zu einer gemeinsamen Wechselkursstrategie zu kommen.
Sarkozys eigentümliche Mischung aus knallharter nationaler Interessenpolitik, Protektionismus, staatlichem Dirigismus, Nachfragebelebung und Wirtschaftsliberalismus steht in gaullistischer Tradition. Auf dem Energiesektor lässt sich der Protektionismus anschaulich besichtigen. Der Stromgigant EdF expandiert andernorts und hält etwa beim deutschen EnBW-Konzern 45 Prozent, in Großbritannien hat die EdF über 350.000 Kunden gewonnen. Freilich sorgen Fallstricke dafür, dass der heimische Strommarkt trotz der von Brüssel vorgeschriebenen Öffnung weithin abgeschottet bleibt.
Fast keynesianisch mutet Sarkozys Parole von der Kaufkraftsteigerung an. Von Gehaltserhöhungen ist jedoch nicht die Rede. Stattdessen will der Präsident Unternehmer wie Arbeitnehmer von Abgaben auf Überstunden und auf den "SMIC" genannten Mindestlohn befreien, was die Nettoeinkünfte steigert. Das dürfte Arbeitgeber indes ermuntern, lieber billige Überstunden ("heures sup") anzuordnen statt Jobsuchende einzustellen. Auch droht die Zahl der "Smicards", die schon 17 Prozent aller Erwerbstätigen stellen, weiter zu steigen.
Abgabenbefreiungen reißen ebenso Milliardenlöcher in die Staatskasse wie diverse Steuergeschenke - weswegen ja Sarkozy die von der EU verlangte Etatdisziplin unterlaufen will. Über die wirtschaftsliberal inspirierten Steuersenkungen sagt der Publizist Alfred Grosser: "Sarkozy hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass die Reichen bevorzugt werden." Vermögens- und Erbschaftsteuer sollen weitgehend abgeschafft, der Spitzensteuersatz reduziert, die Unternehmenssteuer vermindert werden: All das kommt besonders Bessergestellten zugute. Rock-Millionär Johnny Halliday, Steuerflüchtling in der Schweiz, hat unterdessen schon die Rückkehr in seine Heimat angekündigt.
Ohne viel Ärger könnte die Verkleinerung des öffentlichen Dienstes über die Bühne gehen, der mit fünf Millionen Beamten in der Tat zu üppig ausgestattet ist: Ohne Kündigungen soll jede zweite frei werdende Stelle nicht mehr besetzt werden. Zoff mit den Gewerkschaften verspricht hingegen der Plan, den Kündigungsschutz abzubauen und das Streikrecht auszuhöhlen. Die Gewerkschaften bei Bahn, Post und Telekom sollen gezwungen werden, bei Arbeitskämpfen "Mindestdienstleistungen" aufrechtzuerhalten, streikwillige Beschäftigte sollen Arbeitsniederlegungen zwei Tage vorher ankündigen müssen. So würden Arbeitnehmer "eingeschüchtert", klagt die Gewerkschaft CGT. Ob all dies zu realisieren ist? Bei EADS und auf EU-Ebene wurden dem scheinbar allmächtigen "Sarko" schon mal Grenzen aufgezeigt. Bei den Parlamentswahlen schnitten die Sozialisten auch wegen der von der Regierung avisierten Mehrwertsteuererhöhung besser ab als bei den Präsidentschaftwahlen: Seither ist davon keine Rede mehr. Die Inszenierung von Machtpolitik ist das eine, deren Durchsetzung etwas anderes.