Kambodscha
Die schwierige Aufarbeitung des Völkermordes der Roten Khmer
Der Leser spürt es schon nach den ersten Zeilen: Alexander Goeb ist fasziniert von Kambodscha, von der Schönheit des Landes, aber vor allem vom Schicksal seiner Menschen, die einen der grausamsten Völkermorde der jüngeren Geschichte erleiden mussten. Es hat fast drei Jahrzehnte gedauert, bis die Verbrechen unter Pol Pot, dem Anführer der Roten Khmer, juristisch aufgearbeitet werden. Ein mühsames Unterfangen, dem sich nach vielen Widerständen und politischen Blockadeversuchen jetzt internationale und in der Regel unzureichend ausgebildete kambodschanische Juristen des Rote-Khmer-Tribunals vor den Toren der Hauptstadt Phnom Penh unterziehen.
Goeb stellt sich der schwierigen Aufgabe, über die Geschichte des südostasiatischen Landes zu schreiben, von der französischen Kolonialzeit über die schwer durchschaubare innenpolitische Entwicklung bis zur Machtübernahme der Roten Khmer. "Reisen in einem traumatisierten Land" ist ein Titel, der Reportagen über Kambodscha erwarten lässt. Diese aber machen nur einen Teil des Buches aus; Goebs Reisen verfolgen vor allem das Ziel, das Unfassbare darzustellen, mit Tätern und Opfern zu sprechen, Interviews zu führen, um auf diese Weise die Verbrechen der Khmer Rouge und deren Folgen zu dokumentieren.
Das kommt manchmal etwas sprunghaft daher, aber immer von der journalistischen Leidenschaft getragen, den Hintergründen, den Abgründen zumeist, auf die Spur zu kommen. Wie konnte sich eine Widerstandsbewegung in ein gnadenloses Terrorregime verwandeln, dessen führende Köpfe zuvor noch hohe Ämter bekleidet hatten und die sich heute als unbehelligte Polit-Rentner komfortabel eingerichtet haben? Es war eine schleichende Machtergreifung, die kaum Parallelen kennt und die dazu führ-te, dass zwischen 1975 und 1979 ein Viertel des damals sieben Millionen Menschen zählenden Volkes der Khmer ausgelöscht wurde.
Die Spurensuche des Autors deckt die alle Vorstellungskraft übersteigende Verrohung der Menschen auf, die die Roten Khmer aus der Landbevölkerung zwangsrekrutierten und sie zu Tötungsmaschinen abrichteten. Es waren überwiegend zehn- bis zwölfjährige Kinder, die von ihren Eltern getrennt, systematisch indoktriniert, zu völliger Gefühllosigkeit abgerichtet wurden.
Goeb bezeichnet den vor einem Jahr installierten internationalen Gerichtshof als "Tribunal der späten Sühne." Noch wird ermittelt, obwohl es immer neue Versuche gibt, die Arbeit des Tribunals zu torpedieren. In einigen Wochen, vielleicht auch Monaten, wird mit den ersten Anklagen gerechnet. Im vergangenen Sommer hatten die Vereinten Nationen dem Tribunal ein Mandat von drei Jahren zugestanden, so lange sollen die bereitgestellten Mittel von rund 56 Millionen Dollar reichen. Viele Monate sind mit Streitereien über Verfahrensregeln und überzogene Zulassungsgebühren vergeudet worden.
Die UN-Beauftragte Michelle Lee geht davon aus, dass lediglich fünf bis zehn ehemalige Anführer angeklagt werden. Andere wollen den Kreis nicht so eng ziehen. Auch ist zu hören, dass die Bereitschaft wächst, nach langen Jahren des Schweigens endlich auszusagen. Werden die Narben der Willkürherrschaft dann besser heilen? Kein einziger Kambodschaner hat das Regime ohne psychische Folgeschäden überlebt.
Der Autor zitiert den kambodschanischen Psychiater Sotheara Chhim: "Das Tribunal ist eine Hilfe für die Lösung des Traumas." Es sei ein Symbol für Gerechtigkeit. Wie so viele hofft auch er, dass mit dem Tribunal die Zeit der Straflosigkeit endet. Dass noch nie so viel und so öffentlich über die Vergangenheit gesprochen wurde, ist ein erster Erfolg des Tribunals. Das Trauma aber sitzt tief in den Menschen. Noch liegen keine Untersuchungen vor, ob sich die Traumata aus der Roten Khmer-Zeit auch auf die Nachgeborenen übertragen, von den Eltern auf die Kinder.
Kambodscha. Reisen in einem traumatisierten Land.
Brandes & Apsel, Frankfurt/M. 2007; 166 S., 14,90 ¤