KINDERRECHTSKONVENTION
Zwischen Recht und Realität
Marlen hat kein Problem, die wichtigsten zehn Kinderrechte aufzuzählen. Schließlich gibt die Zwölfjährige zusammen mit ihrer Freundin Lea die Zeitschrift "Kinder in Not" heraus, in der sie handschriftlich und mit selbst gemalten Bildern die Kinderrechte erklärt. Für diesen Einsatz ernannte UNICEF, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UN), sie im Mai zur Junior-Botschafterin.
Auch auf der Webseite der Kindernachrichten "logo!" oder in Broschüren des Bundesfamilienministeriums können Kinder sich über ihre Rechte informieren: Das Recht auf Gleichheit, Gesundheit und Bildung ebenso wie das Recht auf Privatsphäre, gewaltfreie Erziehung, Fürsorge und das Recht von Flüchtlingskindern, geschützt zu werden. Zwar wurde die Kinderrechtskonvention, auf die sich 1989 außer Somalia und den USA alle UN-Mitgliedstaaten nach zähen Verhandlungen einigen konnten, auch in Deutschland angenommen und 1992 ratifiziert. Jedoch nicht in allen Punkten. So gilt die Konvention nur für deutsche Kinder, nicht aber für Flüchtlinge.
Was das im Alltag bedeutet, weiß Albert Riedelsheimer vom "Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge" (B-UMF). Der Verein engagiert sich für die Rechte Minderjähriger, die als Flüchtlinge ohne Eltern in die Bundesrepublik einreisen. Der Sozialpädagoge ist außerdem beim Katholischen Jugendsozialwerk in München als Vormund tätig. Dort steht mittlerweile jedem unbegleiteten Flüchtlingskind ein Vormund zu. Dieser kümmert sich etwa um die notwendigen Asylanträge oder die Suche nach Unterkunft und Schule. "Doch in weiten Teilen Deutschlands ist die Betreuung nicht so gut", kritisiert Riedelsheimer. Täglich bekommt er auf den Behörden den rauen Ton zu spüren, der selbst ihn gelegentlich erschreckt. Wie soll es erst Kindern aus Togo oder Afghanistan gehen, die sich in einem fremden Land befinden und denen die Abschiebung droht? Die nicht wissen, welche Chancen und Perspektiven sie haben? "Es wird immer vergessen, dass die Betroffenen nicht nur Ausländer und Asylanten sind, sondern Kinder", sagt er.
Der B-UMF ist wie die Kindernothilfe oder Pro Asyl Mitglied im "Forum Menschenrechte". Das Netzwerk fordert eine erhebliche Verbesserung der Bedingungen für Flüchtlingskinder - und für Kinder, die nach Deutschland gehandelt und hier zur Prostitution oder Arbeit gezwungen werden. Wichtig ist etwa die "uneingeschränkte Teilhabe von Flüchtlingskindern an der sozialen Infrastruktur" - also die Möglichkeit des Schulbesuchs und der Ausbildung.
Welche Wirksamkeit hat die Kinderrechtskonvention also? Und wie wird ihre Einhaltung kontrolliert? "Immer noch klaffen zwischen Recht und Realität weltweit große Lücken", sagt Barbara Dünnweller von der Kindernothilfe. Zwar gibt es Berichterstattungen der Staaten an ein UN-Gremium, doch NGOs sprechen sich für ein zusätzliches Kontrollinstrument aus: die Individualbeschwerde. Sie ermöglicht Einzelpersonen, deren Rechte verletzt werden, sich vor einem Ausschuss der Vereinten Nationen zu beschweren. "Die Bundesregierung hält das Instrumentarium zwar grundsätzlich für geeignet, hat es bisher aber nicht vorangetrieben", sagt sie. Sicher ist aber: Je besser die Kinder ihre Rechte kennen, desto eher können sie diese auch einfordern.
Marlen hat sich deshalb auch ein Spiel ausgedacht - damit keiner ihrer Leser seine Rechte wieder vergisst: "Stehe auf einem Bein und sage fünf Kinderrechte auf!" Spielerisches Lernen mit ernstem Hintergrund. Denn selbst Kinder verstehen die Wichtigkeit der Rechte. Und trotzdem ist es nicht so leicht, diese auch tatsächlich umzusetzen.
Die Autorin ist freie Journalistin in Berlin.