BILDUNG
Das deutsche Schulsystem erzeugt soziale Ungleichheit
Das Recht auf Bildung ist ein besonderes Menschenrecht: Schließlich versetzt Bildung den einzelnen überhaupt erst in die Lage, seine Rechte einzufordern. Bildung ist, wie Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) bei einem Treffen mit türkischstämmigen Jugendlichen erklärte, der "Schlüssel für erfolgreiche Integration". Doch diesen Schlüssel halten Migranten in Deutschland nur selten in der Hand. Kinder ausländischer Eltern haben im deutschen Schul- und Bildungssystem schlechte Karten. Unter türkischen Jugendlichen besucht fast jeder zweite die Hauptschule - nur jeder achte das Gymnasium. Obwohl mehr als ein Viertel der Jugendlichen einen Migrationshintergrund hat, liegt ihr Anteil bei den Studierenden nur bei acht Prozent. Migranten der zweiten und dritten Generation sind zudem doppelt so oft ohne Berufsausbildung wie Kinder deutscher Eltern.
Zuletzt hatte der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung, Vernor Muñoz, während eines Deutschland-Besuchs im vergangenen Sommer auf diese strukturellen Ungleichheiten aufmerksam gemacht - und mit seiner Kritik, das deutsche Schulsystem sei diskriminierend, viel Empörung ausgelöst. Dabei hatte Muñoz eigentlich nur wiederholt, was seit PISA längst bekannt war: Im Vergleich mit anderen Industrieländern besteht in Deutschland der stärkste Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildung.
In seinem Bericht, den Muñoz dem UN-Menschenrechtsrat in Genf vorlegte, empfahl er: Deutschland solle eine Strukturreform durchführen, die "die ungleiche Behandlung und die mangelnden Chancen bestimmter Bevölkerungsgruppen" überwinde. Besonders das mehrgliedrige Schulsystem und die frühe Verteilung auf die verschiedenen Schulformen führe zu einer vorschnellen Selektion.
Eine Strukturdebatte lehnte die Kultusministerkonferenz (KMK) zwar ab. Doch sie leitete eine Reform in die Wege, die bundesweite Standards schaffen und den Ausbau von Ganztagsschulen unterstützen soll. Die Schwerpunkte liegen auf frühkindlicher Erziehung und der Verbesserung der Sprachkompetenz. Besonders bildungsbenachteiligte Kinder sollen so konsequent gefördert werden. Auch der "Nationale Integrationsplan", von der Bundesregierung 2006 initiiert, geht in diese Richtung. "Unser Ziel ist es, den Anteil der Studierenden mit Migrationshintergrund in den kommenden fünf Jahren zu verdoppeln", erklärte Schavan.
Das klingt gut. Doch Marianne Demmer ist skeptisch: "Ob die Maßnahmen tatsächlich erfolgreich sind, bleibt abzuwarten", meint die Leiterin des Vorstandsbereichs Schule der Gewerkschaft Wissenschaft und Erziehung. Sie fordert unabhängige Gutachten - und mehr Offenheit bei den Ländern, das System zu überdenken.