EU-FLÜCHtLINGSRECHT
Restriktive Praxis steht auf dem Prüfstand
Ayana B. kam im vergangenen Jahr mit ihrer Tochter aus Äthiopien nach Deutschland. Sie wollte ihrem achtjährigen Kind ersparen, was sie selbst hatte erleiden müssen: Von ihrer Familie war die Dreißigjährige an den Genitalien verstümmelt worden. In Deutschland hofft sie nun, dass ihre Tochter nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) als Flüchtling anerkannt wird.
Noch vor wenigen Jahren hätte Ayanas Antrag kaum Aussicht auf Erfolg gehabt. Die deutsche Rechtsprechung beharrte darauf, dass Verfolgung vom Staat ausgehen müsse. Das ist aber nur eine von vielen Restriktionen. Seitdem in den 1980er-Jahren die Debatte über vermeintlichen Asylmissbrauch einsetzte, zeigte sich die deutsche Praxis gegenüber Flüchtlingen zunehmend ablehnend. So wurden in Deutschland Asylanträge abgewiesen, die in anderen westlichen Staaten Aussicht auf Erfolg gehabt hätten.
In einem zusammenwachsenden Europa ist die Zeit der Sonderwege jedoch vorbei. 2004 verabschiedete die Europäische Gemeinschaft die so genannte Qualifikationsrichtlinie. Sie regelt, wen europäische Staaten als GFK-Flüchtling anerkennen müssen. Die Beurteilung der Richtlinie fiel unterschiedlich aus. Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) kritisierte sie aus völkerrechtlicher Perspektive in mancher Hinsicht als zu eng. Aus deutscher Perspektive hingegen war sie das kleinere Übel - Pro Asyl, Amnesty International und der UNHCR äußerten die zunächst begründete Hoffnung, dass Deutschland seine restriktive Praxis nunmehr aufgeben müsse. Mit dem neuen Zuwanderungsgesetz wurde 2005 schließlich klargestellt, dass die Staatlichkeit der Verfolgung irrelevant ist und dass auch geschlechtsspezifische Verfolgung zur Flüchtlingsanerkennung führen kann. Damit wurden Teile der Richtlinie umgesetzt.
Als jedoch im Herbst 2006 die Umsetzungsfrist ablief, hatte der deutsche Gesetzgeber es versäumt, die verbleibenden Bestandteile der Richtlinie umzusetzen. Seitdem ist die Richtlinie zwar unmittelbar anwendbar, wird aber nur teilweise beherzigt - viele Gerichte sind nicht gewillt, die europäischen Vorgaben umzusetzen und halten an überkommenen Restriktionen fest. Umso dringender wäre eine klare Umsetzung erforderlich gewesen. Doch auch dies wurde versäumt, als im Juni dieses Jahres das Zuwanderungsgesetz erneut geändert wurde. Die Richtlinie sei "ergänzend" anzuwenden, so der pauschale Verweis im Gesetzestext.
Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Völker- und Europarecht der Universität Frankfurt am Main.