China
Trotz neuer Gesetze haben Arbeiter kaum Rechte
Mit dem Ärmel wischt sich Bauarbeiter Guo über seine schweißnasse Stirn unter dem gelben Helm. Nach sechs Stunden Arbeit am neuen Gebäude des staatlichen Fernsehsenders CCTV freut sich der 50-Jährige auf seine Mittagspause. Guo arbeitet seit über zehn Jahren auf Pekings Baustellen, um Frau und Sohn in der zentralchinesischen Provinz Henan zu ernähren. Er hat zwar keine Sozialversicherung, aber für den aktuellen Job zumindest einen Arbeitsvertrag. "Den Lohn habe ich auch hier selten pünktlich bekommen", seufzt der drahtige Mann. Doch Beschwerden bleiben wirkungslos, denn eine Arbeitervertretung gibt es nicht. Aus Mangel an Alternativen muss der Familienvater weitermachen.
Denn wenn Guo nicht mehr will, steht gleich ein anderer bereit, um seinen Job zu übernehmen. Mindestens 150 Millionen Wanderarbeiter schuften für Chinas Wachstumswunder. Nach einer diesjährigen Umfrage der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften in fünf Städten haben 53 Prozent der Wanderarbeiter keinen offiziellen Arbeitsvertrag und nur 31 Prozent bekommen ihr Gehalt monatlich und pünktlich ausbezahlt. Obwohl die Wanderarbeiter laut Schätzungen rund 20 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beitragen, leben sie als Bürger zweiter Klasse. Weniger als ein Drittel nur besitzt irgendeine Form von sozialer Absicherung und ihre Kinder dürfen nicht die städtischen Schulen besuchen.
Die chinesische Führung spricht mittlerweile offen über die Missstände. Denn wütende Arbeiter, die immer weniger zu verlieren haben, bedrohen die soziale Stabilität. Und gefährdet diese das Wirtschaftswachstum, wackelt auch die Legitimationsgrundlage der chinesischen Führung. So berichten auch staatliche Medien zunehmend über schlechte Arbeitsbedingungen. Als Folge eines Mitte Juni bekannt gewordenen Skandals um rund 600 Sklavenarbeiter in Ziegelfabriken der Provinzen Henan und Shanxi ließ Peking 45.000 Polizisten Razzien in mehr als 8.000 Ziegeleien und Kohlebergwerken vornehmen.
Arbeitsrechtsexperten betrachten die Bemühungen der chinesischen Regierung jedoch eher mit Skepsis. "In China haben Arbeiter einen schwachen Status", meint Professor Chang Kai, Direktor des Instituts für Arbeitsbeziehungen an der Pekinger Volksuniversität, "dies spiegelt auch das neue Gesetz." Die Regierung hat sich letztlich dem Druck der Wirtschaftinteressen - inländischer wie ausländischer Unternehmer - gebeugt. Beispielsweise sollten nach der ersten Fassung des Gesetzes Arbeitergeber neue Firmenregeln mit den Betriebsräten besprechen und von diesen einführen lassen.
Die Allianz zwischen Wirtschaft und Politik verhindert darüber hinaus, dass bereits bestehende Schutzregeln zu Mindestlöhnen oder festen Arbeitszeiten umgesetzt werden. Anfang Juni protestierten mehrere hundert Arbeiter einer Schuhfabrik in Dongguan, Südchina, gegen mangelnde Lohnzahlungen. Nach gewaltsamer Auflösung der Demonstration durch die Polizei forderte das lokale Arbeitsbüro in Allianz mit dem Fabrikmanagement die Entlassung von 70 Protestführern als Bedingung für die Auszahlung der überfälligen Gehälter. Solange Peking den Arbeitern nicht erlaubt, sich unabhängig vom staatlichen Gewerkschaftsverband zu organisieren, können Unternehmer jedes Gesetz beugen.