VON SANDRA SCHMID
Ein Pommesbuden-Besitzer, dem ohne Nennung von Gründen die Konzession entzogen wird. Ein Flüchtling, der abgeschoben wird. Ein Postbote, der mehr über die Menschen in seinem Dorf weiß, als ihnen lieb sein kann. Von ihnen handeln drei der insgesamt 19 Episoden eines Filmes mit dem Titel "GG19", der Ende Mai in die deutschen Kinos kam und auf den ersten Blick ein recht sperriges Thema hat: das Grundgesetz. Genauer: Die Menschenrechte, die in den ersten 19 Artikeln der deutschen Verfassung festgeschrieben sind. Mal anrührend, mal komisch und bisweilen auch bitterböse werden sie von Regisseur Harald Siebler ins Bild gesetzt: Die Unantastbarkeit der menschlichen Würde etwa, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, Presse- und Versammlungsfreiheit - oder eben das Recht auf Asyl oder das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis.
Als Reaktion auf die Diktatur des Nationalsozialismus wurden die Menschenrechte nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals in Deutschland verfassungsrechtlich verankert - ein in Recht gegossenes "Nie wieder" sozusagen, ein Novum. Doch wer weiß heute noch über den Inhalt der 19 Artikel Bescheid? "Kennen Sie eigentlich ihre Rechte?", fragt in einer Filmepisode so auch der Richter einen vor ihm stehenden Mann. Als dieser betreten schweigt, stöhnt der Jurist: "Er kennt sie nicht!" Desinteresse oder Gleichgültigkeit? Die meisten von uns kämen wohl ebenso in Verlegenheit wie der Mann in dem Film. Seltsam eigentlich, denn schließlich ist das Grundgesetz keine abstrakte Materie. Im Gegenteil, jeder seiner Artikel bestimmt ganz direkt unser Leben, ist quasi der Boden, auf dem wir stehen. Unwissenheit ist deshalb ein gefährliches Manko: Wie soll man sensibel auf Menschenrechtsverletzungen reagieren, wenn man seine Rechte kaum kennt? Datenschützer zumindest wirken oft wie einsame Rufer in der Wüste. Den meisten Bürgern scheint es trotz Warnungen herzlich egal, wie viel private Informationen sie preisgeben.
Anspruch und Wirklichkeit der Menschenrechte klaffen oft auseinander, zu oft. Internationalen Abkommen und Konventionen zum Trotz werden sie nahezu überall auf der Welt immer wieder ignoriert: wenn etwa Geheimdienste ihre Befugnisse ausdehnen, wenn internationale Konzerne ihre Verantwortung für menschenwürdige Produktionsbedingungen vernachlässigen, wenn Regierungen die Presse zensieren. Gerade angesichts der Bedrohung durch den "internationalen Terror" wurden im Namen der Sicherheit die Freiheitsrechte in vielen Ländern empfindlich eingeschränkt. So ist es oft zweierlei, was die Menschenrechte angeht: Das, was auf dem Papier steht, und das, was davon realisiert ist. Der wirkliche Erfolg der Menschenrechte hängt letztlich davon ab, dass es Akteure gibt, die sich für ihre Verwirklichung einsetzen: Bürger, Politiker, Staaten. Voraussetzung für jegliches Engagement ist aber Sensibilität gegenüber dem Thema. Auch deshalb stehen die Menschenrechte in dieser Themenausgabe im Blickpunkt.