Mügeln
Wieder steht eine ostdeutsche Stadt am Pranger
War es ein rechtsextremistischer Anschlag oder eine Volksfest-Schlägerei mit fremdenfeindlichen Motiven? Die Fernsehbilder von acht übel zugerichteten Indern, die sich in der vergangenen Woche in der sächsischen Kleinstadt Mügeln vor einem rasenden Mob in eine Pizzeria geflüchtet hatten, haben Emotionen geschürt. Mügelns Bürgermeister und die Stadt standen im Handumdrehen am Pranger. Wieder gab es ausländerfeindliche Gewalt auf ostdeutschem Boden und wieder haben viele Leute tatenlos zugesehen, so der unisono formulierte Vorwurf.
Bürgermeister Gotthard Deuse (FDP) nimmt seine Bürger nach wie vor in Schutz. Es gebe keine rechtsextreme Szene in Mügeln und wenn die Tat einen solchen Hintergrund habe, dann müssten auswärtige Besucher des Stadtfestes schuld sein, wiederholt er gebetsmühlenhaft. Rechte gebe es schließlich überall, auch in Mügeln, aber nicht organisiert. Für den Bürgermeister ist es ganz normal, dass man mal über Ausländer schimpft. "So ein Spruch wie ,Ausländer raus!' kommt doch jedem mal über die Lippen, aber das heißt nicht, dass man ausländerfeindlich ist", bekräftigt er gegenüber "Das Parlament". Seine Äußerungen haben dem Bürgermeister den Vorwurf der Verharmlosung rassistischer Gewalt eingetragen.
Inzwischen hat ein Polizist als Augenzeuge ausgesagt, etliche "hooligantypische Jugendliche" unter den 50 Deutschen ausgemacht zu haben, die auf die Inder losgegangen waren. Die Staatsanwaltschaft Leipzig ermittelt gegen zwei Jugendliche wegen des Verdachts auf Landfriedensbruch; sie stammen beide aus Mügeln. Die Sonderkommission der sächsischen Polizei ist unterdessen auf 26 Beamte aufgestockt worden, weil sich von hunderten Anwesenden anfangs nur 20 als Zeugen gemeldet haben und deren Aussagen höchst widersprüchlich waren. Die vernommenen Inder gaben an, sie seien angepöbelt worden, weil sie mit einer deutschen Frau, einer Angestellten der von Indern betriebenen Pizzeria getanzt hätten. Andere wollen beobachtet haben, dass eine Rempelei auf der Tanzfläche von einem Inder ausgegangen sei.
Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) warnte vor vorschnellen Urteilen. Zunächst müsse der Verlauf dieser "erschreckenden Gewaltexplosion" aufgeklärt werden. "Wir wollen den Rattenfängern von rechts das Handwerk legen", so Milbradt, aber die zunehmende Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung sei nicht auf den rechtsextremen Bereich beschränkt. Bei einer länger geplanten Konferenz will die Staatsregierung im November in Riesa mit Vertretern von Kommunen, Schulen und Sportverbänden über den Umgang mit Gewalt und Extremismus beraten. "Beschämend und betrüblich" nannte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Vorgänge in Mügeln. Doch über Ursachen und Konsequenzen herrscht weithin Uneinigkeit. Während Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) überzeugt ist, dass Ausländerfeindlichkeit "in der Alltagskultur nicht weniger Ostdeutscher vorhanden ist", hat der SPD-Vorsitzende Kurt Beck davor gewarnt, die Debatte über Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit auf Ostdeutschland zu beschränken. Er lenkte das Augenmerk auf einen neuen Anlauf zum Verbot der NPD, assistiert vom Vorsitzenden der Innenministerkonferenz, Berlins Innensenator Ehrhart Körting.
Inzwischen wird Kritik an Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) laut. SPD und Grüne, die in ihrer Regierungszeit ein Programm zur Unterstützung von Initiativen für mehr Toleranz initiiert hatten, werfen ihr vor, das Problem vernachlässigt zu haben - und prompt kündigte die Ministerin eine Intensivierung der Jugendarbeit an, um eine "Kultur des Zivilengagements" zu schaffen. Der Zentralrat der Juden in Deutschland forderte ebenso wie SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz, die Zuständigkeit für diese Programme an das Innenministerium zu übergeben. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion, Petra Pau, regte stattdessen die Ernennung eines Bundesbeauftragten für Demokratie und Toleranz an, der im Bundeskanzleramt die Programme zur Stärkung der Zivilgesellschaft koordinieren solle.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfamilienministerium, Hermann Kues (CDU) verwahrte sich unterdessen gegen die Kritik an seinem Ministerium und wies auf die Erhöhung der Mittel für Projekte gegen den Rechtsextremismus von 19 auf 24 Millionen Euro in diesem Jahr hin. Doch davon hatte der sächsische Landkreis Torgau-Oschatz, in dessen Zuständigkeitsbereich Mügeln liegt, nichts. Sein Antrag auf Bundesmittel war ins Leere gelaufen, weil Sachsens Sozialministerium nach Angaben des Bundesfamilienministeriums die Unterstützung anderer Regionen für wichtiger gehalten hatte. Im Landesministerium verweist man hingegen auf veränderte Kriterien für die Verteilung der Bundesgelder; dadurch sei der eingereichte Antrag für Oschatz wieder von der Förderliste gestrichen worden. Nach Angaben von Landespolizeipräsident Bernd Merbitz (CDU) sind im vergangenen Jahr im Kreisgebiet Oschatz lediglich zwölf Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund, vornehmlich Propagandadelikte, registriert worden.
Nun will von der Leyen sich dafür einsetzen, dass Torgau-Oschatz doch noch Fördermittel für Initiativen gegen Fremdenfeindlichkeit erhält. Wie wirkungsvoll dies in einem Ort sein wird, dessen Bürgermeister sich nach wie vor aufs Kleinreden konzentriert, bleibt abzuwarten.