Energieversorgung
Polen spielt im Streit um die Ostsee-Pipeline die »grüne Karte«
Für manche scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Der ehemalige Verteidigungsminister Radoslaw Sikorski sah einen erneuten Hitler-Stalin-Pakt in Kraft treten, als 2005 die Pläne zum Bau der Erdgas-Pipeline zwischen Russland und Deutschland durch die Ostsee, die an den Küsten seines Landes vorbei führt, bekannt wurden. Die Empörung war groß: Sprüche wie "Gestern Panzer, heute Öl und Gas" machten die Runde.
Das Thema Energie ist ein Dauerbrenner der polnischen Politik. Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin sieht das Land in einem Konflikt "zwischen europäischer Solidarität und russischer Abhängigkeit". Letzteres fürchtet Polen besonders; zwei Drittel des Imports und 40 Prozent seines Verbrauchs an Gas deckt der russische Konzern Gazprom ab.
Durch die 1999 fertig gestellte Jamal-Pipeline von Russland über Belarus nach Westeuropa ist Polen ein wichtiges Transitland geworden. Eine Ostseeleitung würde diese Bedeutung vermindern. Zudem besteht die Angst, dass Gazprom den Hahn zudrehen könnte, da es dann ja eine Alternative gäbe. Deshalb gibt es in Polen Pläne, sich nun an das skandinavische Netz anzubinden.
Nachdem Warschau mit seinen historischen und wirtschaftspolitischen Argumenten gegen die Ostsee-Gaspipeline weder die EU-Kommission noch das Europäische Parlament überzeugen konnte, spielt es die "grüne Karte". Nun heißt es: "Die Leitung gefährdet das Ökosystem der Ostsee" - eine Befürchtung, die auch von Estland, Litauen, Schweden und Finnland geäußert wird. Polens Politiker erhoffen sich, das umstrittene Projekt noch verhindern zu können, denn als Anrainerstaat muss der Staat bei allen Ostseeprojekten gehört werden - und dazu gehört die rund 1.200 Kilometer lange Leitung, die von der Bucht von Portovaya in der Nähe der russischen Stadt Vyborg durch die Ostsee nach Lubmin bei Greifswald führen soll.
Die Pläne der Pipeline seien "ehrgeizig", gibt die Bau- und Betreiberfirma Nord Stream selbst an. Beteiligt sind an dem Unternehmen Gazprom mit 51 Prozent, die BASF-Tochter Winters-hall und E.ON Ruhrgas beide mit Anteilen zu je 24,5 Prozent; Aufsichtsratsvorsitzender ist Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder. 2010 soll die Pipeline in Betrieb gehen und dann jährlich etwa 27 Milliarden Kubikmeter russisches Erdgas nach Westeuropa befördern. Nach Bau eines zweiten Strangs soll dann auf 55 Milliarden Kubikmeter erhöht werden.
Eine von der polnischen Regierung in Auftrag gegebenen Studie spricht sich gegen jegliches Aufwühlen des Meeresbodens aus. Zwar seien Pipelines für den Erdgas-Transport prinzipiell sicherer als Tanker, Lastwagen oder Züge. Aber das gelte eben nicht in der Ostsee. Denn dort wäre nach dem Zweiten Weltkrieg Munition - Seeminen, Fässer mit Giftgas und anderen Kampfstoffen - versenkt worden. Seit 1996 werden jedes Jahr Räumungsaktionen durchgeführt, aber niemand wisse, wo genau und vor allem wie viele Altlasten noch auf dem Meeresgrund liegen, die damit ein unkalkulierbares Explosionsrisiko durch austretende Kampfgase und Chemikalien seien. Die Folgen für die Umwelt seien nicht absehbar.
"Politisch motiviert" nennt Nord Stream dieses Schüren von Ängsten. "Wir werden den Meeresboden gründlich mit neuester Technik nach Metallgegenständen absuchen", sagt Sprecher Jens Müller. Derzeit laufe die Umweltverträglichkeitsprüfung, deren Ergebnis das Unternehmen im Spätherbst allen Beteiligten präsentieren werde. Man hoffe auf eine konstruktive und vor allem "sachliche" Zusammenarbeit - auch mit Polen.
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin und Moskau.