Schattenseiten
Seit 1990 hat die Organisierte Kriminalität im Ostseeraum stark zugenommen
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat die Organisierte Kriminalität im Ostseeraum an Bedeutung gewonnen. Vor allem Delikte wie illegaler Drogenhandel und die Schleusung von Menschen wie auch von gestohlenen Autos nahmen seit 1990 stark zu. Gleichzeitig wuchs das Sicherheitsbedürfnis der EU-Bürger. Die Ostsee-Anrainer mussten deshalb nach Formen suchen, um auf diese neue Gefahr angemessen zu reagieren. Die Organisierte Kriminalität stellt dabei ein Problem dar, das nicht mehr von einzelnen Staaten allein bekämpft werden kann. Der Kampf dagegen im Ostseeraum wie in der gesamten europäischen Union kann nur durch eine verstärkte, grenzüberschreitende Zusammenarbeit gewonnen werden.
Viele Ostsee-Anrainer beschäftigten sich schon in den 80er-Jahren mit diesem Problematik. Vor dem Hintergrund der sich entwickelnden Beitrittsperspektive für Polen, Estland, Litauen und Lettland in den 1990er-Jahren nahm die Bedeutung des Kampfes gegen die Organisierte Kriminalität erneut zu. Eine Folge: Die besonderen Beitrittskriterien, die von der EU auf dem Europäischen Rat von Kopenhagen 1993 für die mittel- und osteuropäischen Länder beschlossen wurden, berührten auch den verstärkten Einsatz gegen die Organisierte Kriminalität.
Auf dem 1. Gipfeltreffen des Ostseerats (CBSS) im Jahre 1996 entschieden sich die Regierungschefs dann, eine "Task Force on Organised Crime in the Baltic Sea Region" (Spezialeinheit für den Kampf gegen die Organisierte Kriminalität im Ostseeraum) einzurichten. Auf dem 5. Gipfeltreffen in Estland 2004 verlängerten die Regierungschefs das Mandat der Task Force bis Ende 2008.
Ihr Ziel besteht darin, eine engere Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden und Verstärkung der Kapazitäten in den Mitgliedstaaten zu fördern, um dadurch das Organisierte Verbrechen besser bekämpfen zu können. Sie soll vor allem den Austausch von Informationen verbessern, dabei helfen, gemeinsame möglichst konkrete Maßnahmen vorzubereiten, die Zusammenarbeit im Justizbereich fördern sowie Analysen, Ausbildungen und Untersuchungen koordinieren.
Die Task Force besteht aus speziellen Vertretern der Regierungschefs der CBSS-Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission. Auf Ebene von Staatssekretären oder hohen Beamten trifft sie sich zweimal jedes Jahr und berichtet direkt den Regierungschefs. Im Abstand von zwei Jahren finden auf Ministerebene Treffen statt, die sich mit der polizeilichen Zusammenarbeit beschäftigen und insgesamt die politische Aufsicht über die Task Force wahrnehmen.
Zur Steuerung der täglichen Arbeit wurde 1998 ein "Operative Committee" (OPC) ins Leben gerufen. Hinzu kamen mehrere ad-hoc Sachverständigengruppen und Arbeitsgruppen. Die Task Force besitzt ein Sekretariat mit wechselndem Ländervorsitz. Seit ihrem Bestehen wurde der Vorsitz von Schweden, Dänemark und Finnland geführt, am 1. Januar 2007 übernahm ihn Estland. Dies ist auch ein Beleg dafür, dass die Task Force mit zum Erfolg und zur Umsetzung der Beitrittsbestrebungen im Bereich Justiz und Inneres in Estland, Lettland, Litauen und Polen beigetragen hat.
Neben der umfangreichen finanziellen Unterstützung seitens der EU zur Umsetzung der Beitrittsbemühungen dieser Länder hat die Task Force diese Länder sehr stark im Bereich der Zusammenarbeit und des Ausbaus notwendiger Kapazitäten im Polizei-, Grenzpolizei und Zollwesen gefördert. Es wurden praktische Kontakte in alle Behörden errichtet, die heute Teil der alltäglichen Zusammenarbeit zwischen den Staaten geworden sind.
Die Europäische Kommission nimmt an der Arbeit der Task Force auf allen Ebenen teil. Ihr Schwerpunkt ist, deren Mitglieder über die jeweiligen Entwicklungen in der EU im Bereich Justiz und Inneres auf dem Laufenden zu halten. Das letzte Ministertreffen fand in Finnland im Mai 2006 statt. In den kommenden Jahren wird die Arbeit von Europol - der europäischen Polizeibehörde - und der EU in Fragen der polizeilichen Zusammenarbeit und des Informationsaustausches wichtiger werden. Davon lässt sich auch die Task Force leiten. Alle Ratsmitglieder mit Ausnahme Russlands haben inzwischen Abkommen über eine Zusammenarbeit mit Europol geschlossen. Die EU-Mitgliedstaaten im Rahmen der EU, sowie Norwegen und Island aufgrund separater, bila- teraler Abkommen mit Europol. Zwischen Russland und Europol wird in nächster Zeit ein Abschluss erwartet.
Für die Jahre 2006 und 2007 hat Europol eine Bedrohungsanalyse zur Organisierten Kriminalität in der Europäischen Union (OCTA) publiziert. Diese zeigt Trends und strategische Schwerpunkte der Bekämpfung auf. Danach ist der Ostseeraum - im Bericht als Nordostregion bezeichnet - durch die geografische Nähe des letztlichen Bestimmungsmarktes zu den Herkunfts- und Transitländern der Organisierten Kriminalität gekennzeichnet.
Die Region ist ein Transit- und Zielraum für Drogen wie Heroin aus Afghanistan, Hanf/Haschisch aus Marokko und Kokain aus Südamerika. Zugleich werden synthetische Drogen in der Region produziert. Sehr häufig wird diese Region zudem als Eingangstür für gefälschte Waren auf ihrem Weg zu den russischen oder kontinentalen EU-Märkten genutzt. Die auf diesem Gebiet aktiven Kriminellen bestehen meistens aus Einheimischen, die über gute Beziehungen zu den in der Region tätigen russischsprachigen sowie aus dem Balkan stammenden Gruppen unterhalten.
Der Drogenhandel und der Schmuggel hoch besteuerter Waren einschließlich Marken- und Produktpiraterie gehören zu den häufigsten Delikten in den Ländern des Ostseeraumes.
Unter den Gruppen der Organisierten Kriminalität gibt es Bestrebungen, sich aus der Region auf andere kriminelle Märkte oder Regionen auszubreiten und sich dort anzupassen. Das wird ihre internationale Aktionsbreite vergrößern und ihre Struktur und Zusammenarbeit untereinander beeinflussen. Außerdem wird diese Entwicklung den Ostseeraum noch enger mit anderen europäischen Regionen und Kriminalmärkten verbinden.
Basierend auf der Methodik des OCTA hat die Task Force begonnen, eine eigene Bedrohungsanalyse für die Ostseeregion zu erstellen. Es ist geplant, diese Informationen an Europol zu leiten, sodass sie in den nächsten OCTA aufgenommen werden können. Umgekehrt werden die Ergebnisse dieses OCTA die Situation in der Ostseeregion betreffend hin ausgewertet und die Lageeinschätzung entsprechend verändert.
Es ist festzustellen, dass mehrere Regionen innerhalb der Europäischen Union dem Beispiel der Task Force, eine eigene Bedrohungsanalyse zu erstellen, folgen möchten - ein Beleg dafür, dass die Task Force eine Vorreiterrolle einnimmt bei der Förderung der regionalen und multidisziplinären Zusammenarbeit Polizei-, Grenzpolizei und Zollwesen in Europa. Sie stellt für andere EU-Regionen ein gutes Beispiel für die Verbesserung ihrer Polizeikooperation dar.
Auf ihrem letzten Treffen in Saaremaa im Juni 2007 hat sich die Task Force entschieden, ihre Strukturen der veränderten Situation bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in der Ostseeregion anzupassen und das Augenmerk auf flexible Einsätze und Operationen der zuständigen Strafverfolgungsbehörden in den betroffenen Länder zu richten. Zudem soll die Arbeit der Analysten bei der Erstellung von Bedrohungsanalysen und die Zusammenarbeit mit Europol verstärkt werden.
Der Autor ist bei der Generaldirektion für Justiz, Freiheit und Sicherheit der Europäischen Union in Brüssel tätig.
Der Artikel stellt nicht die Meinung der Europäischen Kommission, sondern ausschließlich die des Autors dar.