Tourismus
Die Reisebranche spült viel Geld in den Ostseeraum. Finnland hat seine speziellen Schwierigkeiten, um davon zu profitieren. Das soll sich ändern.
Wunderbar, das ist ja fast wie eine Aromatherapie", ruft Shioda Suzuki und hält dabei ihre Nase in ein handgroßes Büschel Wacholderbeerenzweige, das sie am Wegesrand gepflückt hat. Die Japanerin inhaliert noch einmal kräftig und grinst in die Kamera ihrer Freundin Kyoki Seki. Die beiden jungen Frauen sind seit ein paar Stunden im Nuuksio Nationalpark unterwegs, einem von 35 Nationalparks in Finnland. Der mit Laub- und Nadelbäumen, grauen Granitfelsen und Mini-Seen gespickte Park liegt etwa eine halbe Stunde von Helsinki.
Die finnische Hauptstadt hatten sich die beiden Damen aus Tokio bereits am Vortag angesehen. Für den nächsten Tag steht das südwestfinnische Küstenstädtchen Naantali auf ihrem Programm, wo sie sich die Sommerresidenz der finnischen Präsidentin ansehen wollen - und die Muminwelt. "Die ist eigentlich wichtiger als die Sommerresidenz", kichert Kyoki Seki. Wie viele ihrer Landsleute ist sie verrückt nach den großnasigen, weißen Trollen. Die Märchenfiguren waren mit ein Grund anzureisen.
Wenn es nach dem Handels- und Industrieministerium geht, sollen deutlich mehr Gäste wie Kyoki Seki und Shioda Suzuki nach Finnland gelockt werden. Bis 2013 will man die Übernachtungszahlen ausländischer Besucher von 4,3 Millionen im Jahr 2004 auf sieben Millionen steigern. In einem Strategiepapier, das im Sommer 2006 vorgelegt wurde, heißt es dazu: "Ziel ist es, ihren Übernachtungsanteil von derzeit einem Viertel zu erhöhen, weil im internationalen Tourismus das größte Wachstumspotenzial steckt und die Volkswirtschaft direkt davon profitiert." Marketingschwerpunkte sind dabei Deutschland, Großbritannien, Russland, Frankreich, Spanien und die Niederlande, ebenso Estland und Lettland. Im asiatischen Raum zielt man vor allem auf Gäste aus Japan und China.
International spielt das Land in der Reisebranche mit einem Marktanteil von 0,4 Prozent zwar nur eine Nebenrolle. Doch gemäß dem 100-seitigen, nationalen "Master Plan" soll Finnland bis 2020 nicht nur geografisch, sondern auch touristisch "Top in Europa" werden. Das heißt, es soll sich zu einem attraktiven, leicht erreichbaren, ganzjährig attraktiven Reiseziel entwickeln, das Wert auf nachhaltige Entwicklung legt und Schwerpunkte auf den Aufbau von Tourismuszentren und vielseitige Themenreiseangebote setzt. Damit will man sich im Kampf um Marktanteile gegen die Hauptkonkurrenten wie Schweden und Norwegen durchsetzen, aber auch gegen Kanada, Schottland, Österreich und die baltischen Staaten.
Das Engagement verwundert kaum, bietet der Tourismus doch ein "nahezu grenzenloses Wachstumspotenzial", wie es in dem Strategiepapier heißt. Seit Jahren boomt die Branche überdurchschnittlich, trotz zwischenzeitlicher weltwirtschaftlicher Flauten, Terroranschlägen und Umstrukturierungsmaßnahmen in der Luftfahrt. Prognosen gehen davon aus, dass sich das Tourismusaufkommen weltweit bis 2020 ver- doppeln wird. Finnland will da nicht nachstehen.
Für das Land ist die Tourismusbranche bereits heute ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, obwohl die Zahlen klein erscheinen: 2,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts wurden 2004 in diesem Bereich erwirtschaftet. Damit ist Finnland das Schlusslicht unter den skandinavischen Ländern, allerdings sind die Unterschiede nicht groß. "Die nordischen Länder sind keine traditionellen Massentourismusländer wie Italien oder Spanien, und daran wird sich so schnell auch nichts ändern", erklärt Tom Ylkänen vom Finnischen Büro für Tourismus. "Die großen Tourismusströme führen traditionell in die Sonne."
Bislang sorgt der Tourismus in Finnland für 60.000 Arbeitsplätze. Besonders in kleinen, abgelegenen, strukturschwachen Kommunen im Norden und Osten des Landes sind sie Gold wert, da sie das Überleben dieser Gemeinden sichern und nicht ausgelagert werden können. Selbst durch verstärkten Technikeinsatz fallen in dieser Branche die arbeitsintensiven Jobs nicht unter den Tisch, im Gegenteil. Durch vielseitigen Technikeinsatz will Finnland neue Arbeitsplätze schaffen und gleichzeitig die Infrastruktur stärken.
Um Finnland attraktiver und bekannter zu machen, soll das Finnische Büro für Tourismus eine neue Marketingstrategie für das Land entwickeln. "Wir müssen Finnland zu einer Marke machen", so Tom Ylkänen, "denn bislang hat man im Ausland ein viel zu diffuses Bild von Finnland. Uns fehlt noch eine Ikone. Norwegen hat seine Fjorde, Holland die Tulpen und Windmühlen, wir haben Wälder und Seen, aber das haben die Schweden auch."
Zudem hat die Konkurrenz mit der EU-Osterweiterung stark zugenommen. Die baltischen Staaten etwa können mit ähnlichen Trümpfen aufwarten wie Finnland. So bieten sie ansatzweise eine vergleichbare Natur, ähnliche Naturaktivitäten, zum Beispiel Paddeln oder Kanufahrten, und etwas, das Finnland fehlt: schöne, mittelalterliche Städte. Ylkänen betont deswegen, dass Finnland sich mehr auf Nischenprodukte und Aktivitäten rund um seine Stärken konzentrieren muss: Wasser und Winter. Wellness à la Finnland, das heißt nicht so mondän wie in Mitteleuropa, Fotosafaris und Festivals schweben ihm vor. Auch als Kongress- und Incentivereisenstandort müsse man sich noch stärker präsentieren.
"Derzeit ist eigentlich nur der finnische Winter ein sehr starkes, etabliertes Produkt", sagt der Tourismusexperte. "Weihnachten, Skikurlaub, Abenteuertourismus mit Motor- und Hundeschlittenfahrten laufen gut." Im vergangenen Winter erreichte die Zahl der direkten Charterflüge von Großbritannien nach Lappland eine neue Rekordmarke - Tendenz steigend. Damit der Trend anhält, versucht das Büro für Tourismus die Schwächen Finnlands, das heißt Kälte, Entfernung und hohes Preisniveau, in Stärken umzumünzen. Doch auch hier liegt vor den Werbern noch viel Arbeit. "Die größte Herausforderung für uns ist es, Finnland und seine Skizentren bekannt zu machen", sagt Sari Tollert, die Geschäftsführerin des Finnischen Skizentrumsverbands. "Viele Europäer wissen gar nicht, dass man hier Abfahrtski machen kann und es sogar Weltcupabfahrten gibt."
Marketingprofessor Henrikki Tikkanen kritisiert das unzureichende Zielgruppendenken bei der Vermarktung Finnlands. Statt nur auf das Alter und Einkommen zu schauen, müsse man auch auf die unterschiedlichen Interessen mehr Wert legen. So könne das Mittsommerfest in Finnland nicht auf dieselbe Art und Weise an rockbegeisterte Jugendliche vermarktet werden wie an neureiche Russen. Entscheidend sei es, "Produktpakete" zu verkaufen, damit dem Gast für sein Geld wirklich etwas geboten wird - rundum und reibungslos.
Vielleicht hilft ja der Klimawandel, mehr Urlauber nach Finnland zu bringen - aus mehreren Gründen. Mit Blick auf die Reiseziele in Fernost zum Beispiel hat Finnland im skandinavischen Vergleich die Nase vorn. Seine Randlage - bislang ein gewaltiger Wettbewerbsnachteil - sichert ihm einen Standortvorteil: Die kürzeste und schnellste Flugroute von Europa nach Asien verläuft via Helsinki. Und angesichts steigender ökonomischer und ökologischer Zwänge, sprich höherer Treibstoffpreise und geforderter niedrigerer Treibhausemissionen, dürften sich Luftfahrtgesellschaften immer häufiger für diese Route entscheiden. Verbunden mit dem Wirtschaftswachstum in China und anderen Tigerstaaten kann Finnland schon fast zwangsläufig mit mehr Touristen rechnen, die in Suomi einen Zwischenstopp einlegen.
Auch könnte ein stetig wärmer werdendes Klima mehr Urlauber aus Südeuropa ins Land bringen. Wenn im Sommer die Temperaturen in Spanien regelmäßig über die 40-Grad-Marke klettern, wird so mancher Spanier ernsthaft über einen kühleren Sommer in Finnland nachdenken, spekulieren die Reiseexperten. Lässt der Klimawandel die Gletscher in den Alpen weiter schmelzen, wird Finnland - zumindest in Lappland - relativ schneesicher sein. Dafür sorgen bei Bedarf ganze Batterien von Schneekanonen. Solange die Strompreise relativ niedrig bleiben, lohnt sich deren Einsatz für die Skizentrenbetreiber in jedem Fall. Das hohe Preisniveau werden jedoch selbst die Brandingexperten kaum schönreden können. Die periphere Lage verspricht jedoch Sicherheit und Ruhe. Inwieweit letztere bei steigenden Touristenzahlen aufrecht erhalten werden kann, bleibt abzuwarten.
Der Autor arbeitet als freier Korrespondent in Helsinki unter anderem für den NDR.