Ungelöstes Problem
In der Ostsee liegen Munitionsreste aller Art - in riesigen Mengen
Die umstrittene Erdgas-Pipeline durch die Ostsee soll anders verlaufen als geplant. Zumindest in der Region um die dänische Insel Bornholm. Statt wie vorgesehen südlich soll sie nun nördlich die Insel passieren. Dies teilte das deutsch-russische Betreiberkonsortium Nord Stream am 21. August mit. Der Grund: Durch die neue Routenführung verändere sich der Abstand zu Munitionsresten aus dem Zweiten Weltkrieg, die auf dem Meeresgrund liegen. Nach Angaben der Umweltschutzorganisation BUND lagern vor Bornholm und der schwedischen Insel Gotland mindestens 40.000 Tonnen Munition aller Art.
Dass auf dem Grund der Ostsee explosive Erblasten in großen Mengen schlummern, ist seit langem bekannt und hat auch immer wieder zu Kontroversen darüber geführt, ob, wie und von wem die Munitionsreste zu beseitigen sind. Zwar werden immer wieder Bomben in der Ostsee gefunden, geborgen oder gesprengt, konsequent angegangen wurde das Problem aber nie. So teilte die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion im November 2001 mit: "Bei allen Gremien, die sich mit Kampfmittelbeseitigung auf dem Meer befassen (...), besteht Einvernehmen, dass eine flächendeckende Suche und Bergung von Kampfstoffen angesichts ihrer Menge (...) und ihrer weiten Verbreitung (...) weder technisch durchführbar noch finanziell realisierbar wäre."
Die geschätzten Mengen bezifferte die Bundesregierung für die Ostsee zwischen 42.000 und 65.000 Tonnen. In der Nordsee sieht es noch schlimmer aus: Dort sollen zwischen 750.000 und 1,5 Millionen Tonnen liegen. Wie groß die Mengen wirklich sind, kann niemand genau sagen. Dafür weiß man, dass sich darunter alles finden lässt, was sich verschießen oder aus Flugzeugen abwerfen lässt. In der Ostsee finden sich zudem große Mengen an chemischen Kampfstoffen. Bei den Munitionsresten handelt es sich vorwiegend nicht um während Kampfhandlungen verschossene Munition oder Blindgänger, der Großteil wurde von den Alliierten nach 1945 im großen Stil in der Ost- und Nordsee entsorgt. Doch Blindgänger oder nicht, die Bomben korrodieren und könnten so eines Tages ihre tödliche Fracht freigeben.
Ein Teil der Versenkungsgebiete ist zumindest bekannt. Die vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie ermittelten 13 als munitionsverseucht eingestuften deutschen Küstengebiete werden auch auf Seekarten gekennzeichnet. Allerdings lassen immer wieder überraschende Funde in Küstennähe befürchten, dass die Gefahr womöglich viel größer ist als gedacht.
Immer wieder werden Phosphorreste aus Bomben an den Küsten angeschwemmt, die schwerste Verbrennungen verursachen können. Auch die gezielte Sprengung von Bomben birgt Gefahren: Überreste des TNT-Sprengstoffs können das Meerwasser vergiften und in die Nahrungskette gelangen, warnen Wissenschaftler. Und deren Endstation heißt bekanntlich Mensch.
Nun hat sich das Europäische Parlament erstmals der Sache angenommen. In einem Entschließungsantrag zur Meerespolitik der EU forderten die Parlamentarier am 12. Juli auf Initiative der Grünen-Fraktion, dass die Lösung des Altlastenproblems von der EU-Kommission angepackt wird. Ob und wie aus dieser Forderung konkrete Handlungen werden, bleibt abzuwarten. Bis dahin ticken die Zeitbomben auf dem Ostseegrund weiter.