Franz Thönnes
Der Parlamentarische Staatssekretär leitet die deutsche Delegation der Ostseeparlamentarierkonferenz vom 27. bis 28. August in Berlin
Herr Thönnes, wie hat sich die Zusammenarbeit im Ostseeraum verändert, seit die baltischen Staaten und Polen EU-Mitglieder wurden?
Die Zusammenarbeit war von Anfang an auf ein gleichberechtigtes Zusammenwirken aller Anrainerstaaten und -regionen ausgerichtet. Zu keiner Zeit wurde nach EU-Mitgliedern und Drittländern unterschieden. Die Ostseekooperation verstand und versteht sich vielmehr als Klammer zwischen der Europäischen Union, Russland sowie den EFTA-Staaten Norwegen und Island. Vor diesem Hintergrund hat sich seit der EU-Erweiterung um die baltischen Staaten und Polen nichts verändert, soweit es um die formelle und inhaltliche Gleichberechtigung aller Ostsee-Anrainer geht.
Und dennoch ist Russland dadurch ein wenig zum Außenseiter geworden?
Durch die Erweiterung hat sich das Verhältnis zu Russland in der Tat verändert. Aber nicht zum Außenseiter. Unsere russischen Nachbarn achten eher deutlich darauf und zeigen bisweilen eine hohe Sensibilität, wenn sie den Eindruck haben, in EU-Politiken vereinnahmt zu werden. Das gilt sowohl für die parlamentarische Zusammenarbeit als auch für die Arbeit auf Regierungsebene.
In welchen Bereichen spüren Sie das?
Zuletzt wurde dies bei der Umweltpolitik im Rahmen der Nördlichen Dimension und auf dem Gebiet der integrierten Meerespolitik der EU deutlich. Diese muss natürlich Russland einbeziehen, wenn es um die Reinhaltung des Meeres und die Sicherheit auf See geht. In Russland wird sehr darauf geachtet, dass dies nicht gleich zu einer Integration in die EU-Politik führt. Hier ist auf unserer Seite politisches Fingerspitzengefühl erforderlich - sowohl in Brüssel wie auch in den nationalen Hauptstädten der EU-Mitgliedsstaaten.
Abgesehen von der Meerespolitik, ist Russland denn für die Zusammenarbeit wirklich so wichtig?
Es liegt in der Logik der Ostseekooperation im Allgemeinen und der BSPC-Arbeit im Besonderen, dass die Einbeziehung Russlands auch in die parlamentarische Zusammenarbeit ein Muss ist: Ohne Russland wäre die Ostseekooperation ein Torso. Russland beteiligt sich an der parlamentarischen Ostseekooperation sowohl über die Staatsduma als auch über den Föderationsrat. Dem föderalen Staatsaufbau entsprechend beteiligen sich auch die Ostseeregionen Karelien, St. Petersburg und Kaliningrad an der Ostseeparlamentarierkonferenz.
Das Verhältnis ist sicher nicht immer einfach...
Die Zusammenarbeit mit den Abgeordneten aus Russland ist konstruktiv und vertrauensvoll. Überhaupt spielt das über Jahre gewachsene Vertrauen in diesen Beziehungen eine große Rolle: durch beständige Zusammenarbeit mit denselben Politikerinnen und Politikern aus Russland ist eine stabile Grundlage entstanden, die auch ein offenes Wort verträgt. Die Bedeutung, die die BSPC der Zusammenarbeit mit Russland beimisst, zeigt sich unter anderem auch darin, dass der stellvertretende Vorsitzende des Ständigen Ausschusses der Repräsentant der Russischen Staatsduma ist.
Inwieweit ist in Kaliningrad eine parlamentarische Zusammenarbeit mit der Gebietsduma noch möglich, wenn zunehmend alles zentral von Moskau bestimmt wird?
Es ist zwar richtig, dass der Moskauer Politik eine Zentralisierungstendenz innewohnt, die auch die Zusammenarbeit im Ostseeraum erfasst hat. Zu Beginn der 90er-Jahre konnten die Parlamentarier aus Kaliningrad und aus den anderen Oblasten etwas freier agieren. Aber anders als bei dem Durchregieren im gouvernementalen Bereich habe ich den Eindruck, dass die Parlamente nach wie vor einen großen Freiraum haben und diesen nutzen. Gerade die an der Ostseekooperation beteiligten norddeutschen Länder mit ihrem beachtlichen Einfluss auf die Zusammenarbeit hatten hier eine gewisse Signalwirkung.
Wie muss man sich diese vorstellen?
Durch die seit vielen Jahren bestehende Parlamentspartnerschaft zwischen Schleswig-Holstein und Kaliningrad hat es wechselseitige Einblicke in parlamentarische Strukturen und politische Wirkungsmöglichkeiten gegeben, die mittel- und langfristig gesehen zu einem selbstbewussteren Parlamentarismus auf der regionalen Ebene auch in Russland führen können. Die tragende Idee der Ostseekooperation ist der so genannte Bottom-Up-Approach, also das Wachsen von unten, die Annäherung aus der Region heraus. Das ist ein zutiefst föderalistischer Ansatz.
Der BSPC geht es auch um das Einleiten und Vorantreiben politischer Aktivitäten in der Ostseeregion. Was hat die Konferenz in jüngster Zeit erreicht?
Gerade das letztgenannte Beispiel eignet sich gut, um die Arbeitsweise und die Wirkungsprinzipien der Ostseeparlamentarierkonferenz zu verdeutlichen. Es sind die mittel- und langfristig angelegten Prozesse, es sind die leisen Töne auf der Grundlage gewachsenen Vertrauens, und es ist das manchmal eher beiläufige Vermitteln von politischen und demokratischen Grundprinzipien. Neben diesen eher weichen, aber parlamentstypischen Verhaltensmustern sehe ich die wesentlichen Erfolge der BSPC auf dem Gebiet der Meerespolitik. Die größten Herausforderungen in der gegenwärtigen Ostseepolitik liegen im ökologischen Bereich.
Wie stellen Sie sich diesen Herausforderungen?
Die Ostseeparlamentarierkonferenz hat zu diesem Zweck im vergangenen Jahr eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit der Eutrophierung der Ostsee intensiv auseinandergesetzt hat und dazu einen umfangreichen Bericht zur 16. Ostseeparlamentarierkonferenz in Berlin vorlegen wird. Zum Umweltsektor zu zählen sind auch andere Themen der integrierten Meerespolitik, insbesondere Fragen der Schiffssicherheit. Die zunehmenden Öltransporte auf der Ostsee von Ost nach West erfordern höhere Sicherheitsstandards wie Doppelhüllentanker, modernste Navigationssysteme, Lotsenpflicht und gesondert ausgewiesene Schifffahrtswege. Hierzu hat die BSPC bereits in der Vergangenheit ihre Positionen formuliert. Die Berliner Konferenz widmet diesem Thema einen eigenen Abschnitt und wird dazu aktuelle Forderungen an die Regierungen in der Ostseeregion richten. Aber es geht auch ebenso um Fragen der Energiepolitik, der zusammenwachsenden Arbeitsmärkte in der Region und der sozialen Sicherheit.
Das Interview führte Alva Gehrmann.