Schleuserkriminalität
Illegale Migranten kommen auf verschiedenen Routen in die EU - eine führt über das Baltikum
Die Schleuserkriminalität ist seit langem ein politisch drängendes Thema. Die Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen der Europäischen Union und die Verlagerung der Einreisekontrollen an die Außengrenzen der so genannten Schengen-Staaten führten dazu, dass die deutsch-polnische Grenze lange Zeit einer der Brennpunkte für die Probleme der illegalen Einreise nach Deutschland und bis vor kurzem auch in die EU bildete.
Derzeit werden vorwiegend drei Reisewege von illegalen Migranten in und nach Euro-pa genutzt. Zum einen die so genannte Balkan-Route: Aus Bulgarien gelangen sie über Rumänien und Ungarn nach Deutschland, von Mazedonien oder Albanien aus nach Italien. Ein anderer Weg, die Maghreb-Route, führt von Afrika über die Südküste Spaniens sowie die spanischen Exklaven in Marokko auf den europäischen Kontinent. Seit einigen Jahren wird verstärkt auch die Route über die italienische Küste genutzt.
Für die deutsch-polnische Grenze und für die Staaten des Ostseeraums ist die baltische Route von größter Bedeutung. Dieser Weg findet seinen Anfang in den asiatischen Staaten und führt über Russland und die baltischen Staaten nach Skandinavien oder über Polen in die westlichen Staaten der EU. In den vergangenen Jahren wurde aber auch Polen selbst zum Ziel der Ost-West-Wanderungen. Russland ist eines der Haupttransitländer, vor allem für Menschen aus Afghanistan, Pakistan, Bangladesch, Sri Lanka, Vietnam, Indien, aber auch aus Afrika. Von dort aus gelangen sie auf dem Luft- oder Landweg über die osteuropäischen Staaten nach Westeuropa oder Skandinavien. Der Seeweg wird eher selten genutzt.
Im Jahr 1997 registrierten die Grenzschützer an der deutsch-polnischen Grenze knapp 20.000 illegale Grenzübertritte, bei einem Viertel der Fälle handelte es sich um Geschleuste. Im Jahr 2005 waren es nur noch knapp 3.000 illegale Grenzübertritte, doch der prozentuale Anteil der Schleusungsfälle ist größer geworden: Etwa die Hälfte fällt darunter.
Illegale Grenzübertritte an der deutsch-polnischen Grenze finden nicht etwa nur durch die Einreise nach Deutschland, sondern auch durch illegale Ausreise aus Deutschland nach Polen statt. 2005 machten diese Fälle 17 Prozent aller vom polnischen Grenzschutz registrierten Fälle aus. Diese Zahlen können allerdings nur eine grobe Vorstellung der Situation vermitteln - völlig unklar ist die Dimension der nicht erfassten illegalen Übertritte.
Bei den festgenommenen Migranten handelt es sich neben polnischen Staatsangehörigen, die im Jahr 2005 circa 22 Prozent ausmachten, vor allem um Menschen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion und aus den asiatischen Staaten. Letztere stellten auch die Hauptpersonengruppe bei Schleusungen dar. Die Schleuser stammen relativ häufig aus denselben Staaten wie die geschleusten Migranten. Bei den russischen Staatsangehörigen handelte es sich zu 75 Prozent um Menschen tschetschenischer Herkunft.
Im Wesentlichen lassen sich zwei Migrantengruppen unterscheiden: Flüchtlinge vor Krieg und Verfolgung sowie Migranten aus wirtschaftlichen Gründen. Nicht immer lässt sich das jedoch klar trennen. Eine Flucht über die deutsch-polnische Grenze ausschließlich aus den in der Genfer Konvention genannten Gründen ist relativ selten. Obwohl es möglich ist, in Polen einen Flüchtlingsstatus zu beantragen, versuchen viele Menschen illegal nach Deutschland oder in andere westeuropäische Staaten zu gelangen und erst dort den Flüchtlingsstatus zu beantragen. Als Gründe können der unsichere Rechtsstatus der geduldeten und der sich im Verfahren befindenden Personen, die schlechte ökonomische und soziale Situation, Schwierigkeiten mit der Arbeitsaufnahme und bestehende Kontakte zu anderen Flüchtlingen und Familienangehörigen in Westeuropa genannt werden.
Bei der großen Migrantengruppe, die aus ökonomischen Gründen in den Westen möchte, stellt illegale Arbeit in Westeuropa oft eine Alternative zur Arbeitslosigkeit oder eine wesentliche Verbesserung des Einkommens im Heimatland dar. Einen nicht zu unterschätzenden Faktor bildet dabei die gestiegene Nachfrage nach illegalen Migranten. Sowohl in Polen als auch in Deutschland gibt es Marktbereiche, die weitgehend von diesen Menschen "bedient" werden, vor allem das Bauwesen, Haushaltshilfen sowie einige Bereiche der Landwirtschaft.
Die Entwicklung der Schleuserkriminalität folgt dabei dem Zusammenhang von Angebot und Nachfrage. Die Marktmechanismen beruhen auf den sozioökonomischen und strukturellen Schwierigkeiten in den Herkunftsländern der Flüchtlinge und dem daraus resultierenden Wohlstandsgefälle. Dies wird begünstigt durch die Aussicht auf hohe Gewinne bei einem relativ geringen Risiko, verfolgt und verurteilt zu werden.
Der Grad der Organisation der Schleusungen an der deutsch-polnischen Grenze ist unterschiedlich. Es handelt sich meist um lokale "Dienstleistungsanbieter", die der Nachfrage nach illegalen Einreisemöglichkeiten in die westeuropäischen und skandinavischen Staaten entgegenkommen und "alternative Wege der Einreise" anbieten. Nur teilweise haben sie Verbindungen zu international agierenden "Schleusungsunternehmen". Die Preise für eine Schleusung sind sehr unterschiedlich, sie klettern bis auf 10.000 Euro - je nach Route und Schwierigkeitsgrad.
Die Strafverfolgung im diesem Bereich gestaltet sich nicht besonders effektiv. Zum einen besteht eine gewisse Toleranz gegenüber den Tätern. Die Vorteile der Existenz illegaler Arbeitsmärkte für die Wirtschaft, vor allem für Arbeitgeber, dürften ein Hauptgrund dafür sein, dass in diesen Bereichen bislang nicht besonders stark eingeschritten wurde. Es scheint auszureichen, dass an der Grenze einzelne Migranten aufgegriffen werden und dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in die Effektivität der Strafverfolgungsbehörden gewahrt bleibt.
Die bisherige Entwicklung lässt folgende vorsichtige Prognose zu: Trotz des Rückgangs der Zahlen der registrierten unerlaubten Einreisen beziehungsweise der Schleusungen bleiben Deutschland und die anderen westeuropäischen Staaten als Ziel der illegalen Einwanderung interessant.
Während in der Vergangenheit die Grenzen meist außerhalb der offiziellen Übergangsstellen illegal überquert wurden, passieren Migranten in jüngster Zeit vermehrt mittels erschlichener Visa ganz "offiziell" die Grenzübergänge. Dieser Trend dürfte sich mit der Verbesserung der Grenzsicherungsmaßnahmen auch an den neuen Außengrenzen verstärken.
Die Autorin promovierte über das Thema Schleusungen an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).