LIBERALISIERUNG
Lohndruck, Universaldienst und EU-Wettbewerb sorgen für Aufregung
Das Versprechen klingt verheißungsvoll. "Die Post wird ihren Standard auch beim Wegfall des Briefmonopols beibehalten", betont Konzernsprecher Dirk Klaasen. Das Unternehmen wolle an der Zahl von 12.500 Filialen nicht rütteln, auch blieben deren Öffnung sowie der Zustellservice von Montag bis Samstag gesichert. Vor allem werde die "Tarifeinheit" gewahrt: Die teure Beförderung von Briefen, Karten und Paketen in Alpentäler soll weiterhin so viel kosten wie der billigere Transport von Mainz nach Wiesbaden. Klaasen: "Das machen wir auch aus Wettbewerbsgründen." Obendrein wolle der Konzern zusätzlich rund 600 "Postpoints" mit eingeschränkten Leistungsangebot eröffnen.
Sollte das noch unter Rot-Grün verabschiedete Postgesetz nach dem Willen von CSU-Wirtschaftsminister Michael Glos trotz des Widerstands der SPD und der Gewerkschaft Verdi fristgerecht umgesetzt werden, ist es am 1. Januar mit dem letzten Monopol vorbei: Von 2008 an können die 750 Postkonkurrenten dem einstigen Staatsbetrieb dann auch im besonders umsatzträchtigen Briefsegment bis 50 Gramm Marktanteile abjagen. Die Exklusivlizenz in diesem Bereich verpflichtet bislang das Traditionsunternehmen zur Aufrechterhaltung des "Universaldiensts", womit im Kern der Betrieb von mindestens 12.000 Filialen und die Zustellung zu gleichen Preisen auch in abgelegene Gebiete an allen Werktagen gemeint ist. Im Gegenzug ist die Post teilweise von der Mehrwertsteuer befreit. Sollte dieses Privileg, wie von der EU gefordert, fallen, werde das Briefporto steigen, mahnt Postchef Klaus Zumwinkel.
Nach einer Liberalisierung muss die flächendeckende Versorgung von der Post nicht mehr garantiert werden. "Im Vertrauen auf den Markt" erwarte man, so Charlotte Lauer, Sprecherin des Wirtschaftsministeriums, dass der Universaldienst auch künftig "angemessen und ausreichend im Wettbewerb erbracht wird". Soll heißen: Beim Kampf um Marktanteile werden sich die Konkurrenten von sich aus um optimale Dienstleistungen bemühen. Nur bei "erkennbaren Versorgungslücken", so Lauer, werde die Bundesnetzagentur auf Basis einer Ausschreibung ein Unternehmen zum Universaldienst verpflichten, das dann bei finanziellen Defiziten als Folge dieses Auftrags aus einem von allen Lizenznehmern getragenen Fonds Zuschüsse bekäme.
Die Ankündigungen der Post, die noch rund 150.000 Arbeitnehmer im Briefsektor hat, stützen fürs erste die optimistische Prognose des Wirtschaftsressorts. Auch die wichtigsten Widersacher der Post wollen ihre Aktivitäten ausweiten: Die von mehreren Zeitungsverlagen getragene Pin Group mit 7.000 Beschäftigten und die Deutschlandtochter des holländischen TNT-Konzerns mit 5.000 Mitarbeitern erwägen, bundesweit Tausende Briefkästen aufzuhängen: grün (Pin Group), Orange (TNT).
Aber wird das Briefmonopol tatsächlich zum 1. Januar fallen? SPD und Verdi fordern eine Verschiebung, um die Liberalisierung EU-weit zum gleichen Zeitpunkt zu vollziehen und um erst einmal Regeln gegen Lohndumping zu schaffen.
Ursprünglich sollte das Monopol EU-weit bis 2009 auslaufen. Wegen des Widerstands einiger Länder, etwa Frankreichs, wird dies nach einem Votum des EU-Parlaments wohl erst 2011 geschehen, neue EU-Nationen und andere Staaten mit geographisch schwierigen Bedingungen, wie Griechenland mit seinen vielen Inseln, sollen zwecks Absicherung des Universaldiensts bis 2013 Zeit haben. In einer Liberalisierung hierzulande schon 2008 sehen Kritiker die Gefahr einer verzerrten Konkurrenz. Es gehe nicht an, so der SPD-Vorsitzende Kurt Beck, den hiesigen Markt für ausländische Zustelldienste zu öffnen, "ohne dass die europäischen Nachbarländer der Deutschen Post die gleichen Wettbewerbschancen bieten". Verdi-Vorstandsmitglied Andrea Kocsis: "Der Wettbewerb muss fair sein."
Das EU-Parlament schlägt einen Ausweg vor: Unternehmen aus Staaten ohne Liberalisierung dürfen danach nicht in Ländern tätig werden, die das Briefmonopol aufgehoben haben. Eine solche "Reziprozitätsklausel" würde die Interessen der Deutschen Post wie ihrer hiesigen Konkurrenten auf dem inländischen Markt schützen. Entschieden ist bisher allerdings nichts: Das letzte Wort haben auf EU-Ebene im Herbst die 27 für die Post zuständigen nationalen Minister.
Besonders vertrackt mutet das Problem Lohndumping an. Bei vollem Wettbewerb mit Preiskämpfen fürchtet Verdi eine Spirale nach unten. Nach einer Studie des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) werden die 46.000 Beschäftigten der 750 Postkonkurrenten bislang ohne Tarifvertrag bezahlt. Nur 18 Prozent dieser Mitarbeiter seien in Vollzeit tätig, 60 Prozent seien Minijobber. Bei neuen Anbietern, so das WSI, seien Stundenlöhne zwischen fünf und sechs Euro keine Seltenheit.
Laut Verdi rangieren die Gehälter bei den Postwidersachern im Schnitt rund 40 Prozent unter dem Niveau des gelben Riesen. 8.000 Briefzusteller seien trotz Vollzeitjobs auf Hartz IV angewiesen. Postchef Zumwinkel kritisiert die "Wettbewerbsverzerrung durch Lohndumping" scharf: Es sei nicht hinnehmbar, dass sich Wettbewerber ihre Marktposition "quasi über Niedriglöhne und staatliche Kassen" bezahlen lassen.
Nach einer Erhebung der Bundesnetzagentur unter knapp 40 Postkonkurrenten zahlen diese im Schnitt Stundenlöhne von 8,44 Euro. Das ist erheblich weniger als bei der Post mit 11,84 Euro Einstiegsgehalt für Zusteller. Allerdings lagert auch der Marktführer bereits heute Aufgaben in Subunternehmen aus, wo schlechter bezahlt wird und oft Billigkräfte angeheuert werden.
Durch einen einheitlichen Mindestlohn für Postdienstleister, auf dessen Einführung sich die Koalition jüngst verständigt hat, sollen Dumpinglöhne verhindert werden. Nur wie? Eine Übernahme des Tarifstandards der Post dürften die Wettbewerber wohl nicht akzeptieren. Ein branchenweit gültiger Tarifvertrag existiert nicht. Bei den Postkonkurrenten konnte Verdi noch nicht Fuß fassen. Ersten Verhandlungen laufen jetzt mit der Pin Group.