AFGHANISTAN-EINSATZ
Im Parlament zeichnet sich eine Mehrheit für eine Verlängerung des Mandats ab
Ist das Glas nun halb voll oder halb leer? Bezogen auf Afghanistan haben die internationalen Helfer - Soldaten und Entwicklungshelfer - während der vergangenen Jahre schon vieles erreicht. Nach der Vertreibung der Taliban haben mittlerweile Parlamentswahlen stattgefunden. Die Rechte der Frauen sind wiederhergestellt. Nicht immer und überall. Aber Frauen sitzen im Parlament und Mädchen können wieder zur Schule gehen. Früher mussten sie zu Hause bleiben, und wenn sie nach draußen wollten, konnten sie es nur tief verschleiert tun. Die Helfer, gleich ob in Uniform oder nicht, konnten die Gesundheit der dort wohnenden Menschen verbessern und die Infrastruktur einen Schritt voranbringen - beispielweise öffentliche Gebäude errichten, Brunnen bohren und Straßen bauen.
Andererseits verlieren immer mehr deutsche Soldaten, Entwicklungshelfer und Geschäftsleute ihr Leben durch Anschläge und Selbstmordattentate. Entführungen mit der Androhung, die Opfer umzubringen, wenn nicht Lösegeld gezahlt werde, nehmen zu. Afghanistan ist in der Welt mittlerweile zum Hauptexporteur von Opium, dem Grundstoff für Heroin, aufgestiegen. Die Drogenbarone verdienen Milliarden mit dem schmutzigen Geschäft. Außerhalb Kabuls ist die Sicherheitslage wieder prekärer geworden. Das pakistanisch-afghanische Grenzgebiet wurde mehr denn je Rückzugsraum für die Taliban. Die Ausbildung von Polizei und Justiz, so wenden die Kritiker ein, lasse immer noch zu wünschen übrig.
CDU/CSU sowie die Mehrheit von SPD und FDP sind der Meinung, der Einsatz sollte fortgesetzt werden. Sie haben ihre Bereitschaft signalisiert, das ISAF-Mandat (International Security Assistance Force) bis zum 13. Oktober 2008 zu verlängern. Dies wurde am 20. September deutlich, als der Bundestag über die Entwicklung in Afghanistan diskutierte. Die Regierung hatte am Morgen, nachdem in der Nacht zuvor der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen "grünes Licht" gegeben hatte, einen Antrag ( 16/6460 ) vorgelegt.
Darin fordert die Regierung, der Bundestag solle für das ISAF-Mandat bis zu 3.500 Bundeswehrsoldaten bereitstellen. Sie sollen zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau Afghanistans eingesetzt werden. Zusätzlich möchte die Regierung das Mandat für die zur Aufklärung eingesetzten "Tornados" in das Mandat integrieren. Sechs bis acht Maschinen fliegen seit April dieses Jahres, um bei ihren Aufklärungsflügen Aufständische aufzuspüren und so die Sicherheit von afghanischer Bevölkerung, Militär und ausländischem Zivilpersonal zu erhöhen. Die Kosten für die Verlängerung der Afghanistan-Mission bis zum Oktober nächsten Jahres liegen bei rund 487 Millionen Euro, davon rund 44 Millionen Euro für das "Tornado"-Mandat.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) waren sich einig, Afghanistan dürfe nicht wieder in die Hand der Taliban fallen und zum Ausbildungszentrum für Terroristen werden. Das Land sei noch nicht so weit, dass es aus eigener Kraft politisch und wirtschaftlich überleben könne. Deshalb sei deutsches Engagement als Teil der internationalen Friedenstruppe auch weiterhin erforderlich.
Steinmeier sagte, es gelte unbedingt zu verhindern, dass sich Afghanistan erneut zum Rückzugsraum für Terroristen entwickelt. Deshalb sei es nach wie vor die Aufgabe, den Menschen in dem Land eine neue Perspektive zu geben. Der Außenminister räumte dabei ein, dass sich der Weg dorthin als schwieriger als erhofft erwiesen habe. Seine Schlußfolgerung war eindeutig: "Gehen, weil es schwierig ist? Ich glaube nicht." Man müsse die Anstrengung verstärken und die Mittel beim zivilen Aufbau erhöhen.
Jung erklärte, das neue Afghanistan-Konzept der Bundesregierung mache deutlich, dass man ohne Sicherheit keine Entwicklung und keinen Wiederaufbau gewährleisten könne. Aber ohne Entwicklung und Wiederaufbau gebe es keine Sicherheit. Der Verteidigungsminister kündigte an, dass man die Anstrengung zur Ausbildung der afghanischen Armee verdreifachen wolle, um sie in die Lage zu versetzen, selbst für die Sicherheit zu sorgen.
Der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Werner Hoyer, sagte, es sei im Interesse der Nato, für eine Koordination der Aktivitäten im nichtmilitärischen Bereich zu sorgen. Ein "großer Schwachpunkt" sei zudem das Thema Drogen. Es könne nicht sein, dass "unsere Soldaten vor blühenden Mohnfeldern patrouillieren und damit das dreckige Geschäft der Drogenbarone" sogar noch militärisch absichern. Es sei erforderlich, dass sich Deutschland "möglichst schnell" mit seinen Partnern auf einen Weg verständige, dieses Problem zu lösen. Den Grünen warf Hoyer vor, deren Basis wolle den Abgeordneten "Verantwortungsverweigerung" auferlegen.
Fritz Kuhn, einer der beiden Fraktionsvorsitzenden der Grünen, widersprach. Das ISAF-Mandat sei innerhalb von Partei und Fraktion unumstritten. Im Übrigen wies der Abgeordnete die Kritik Hoyers zurück. Die Liberalen hätten in den letzten Jahren mehrfach Auslandseinsätzen der Bundeswehr - darunter auch dem ISAF-Mandat - nicht zugestimmt.
Kuhn plädierte für einen "Strategiewechsel" im Umgang mit Afghanistan. Man müsse "einen größeren Sprung in Richtung ziviler Aufbau machen". Die US-geführte OEF-Mission (Operation Enduring Freedom) lehnte Kuhn ab. Das Mandat habe "keine sinnvolle strategische Legitimation". Auch den "Tornado"-Einsatz würde seine Fraktion wegen der zu großen Nähe zur OEF ablehnen. Kuhn kündigte deswegen an, dass die Mehrheit der Grünen sich entweder enthalten oder mit "nein" stimmen werde.
Sein Kollege Gregor Gysi (Die Linke) hatte den vergleichsweise leichteren Part: Seine Fraktion lehne die Entsendung deutscher Soldaten nach Afghanistan ab. Sie hat darüber hinaus einen Entschließungsantrag ( 16/6461 ) eingebracht, in dem auch der Abzug der "Tornado"-Flugzeuge gefordert wird. Gysi warf der Regierung vor, nicht die Kraft zu haben, sich gegen die USA zu stellen und sich eine andere Strategie zu eigen zu machen. Das sei auch unter der Vorgängerregierung nicht anders gewesen.
Wie ist das nun mit dem Glas - ist es halbvoll oder halb leer? Die Mehrheit des Bundestages hat sich wohl dafür entschieden, dass es halb voll ist.