EUROPAPARLAMENT
Nach dem Gipfel in Lissabon zählt das EU-Parlament bald 751 Sitze
Das EU-Parlament soll ab 2009 insgesamt 751 Sitze zählen. Darauf verständigten sich die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel in Lissabon - und sorgten so für große Aufregung. Denn ursprünglich hatte die Regierungskonferenz entschieden, die Zahl der Abgeordneten auf 750 zu beschränken und die Sitze nach dem Prinzip der "degressiven Proportionalität" zu verteilen. Auf dieser Grundlage hatte das EU-Parlament einen Vorschlag ausgearbeitet, der alle Vorgaben des geplanten Reformvertrages berücksichtigte: Sechs Abgeordnete erhalten die kleinsten Mitgliedstaaten Luxemburg und Malta, 96 Sitze bekommt Deutschland als größtes Mitgliedsland. Dazwischen wird der Bevölkerungszahl entsprechend abgestuft. Doch Italiens Ministerpräsident Romano Prodi, sonst ein freundlicher Europäer, machte schon bei der Ankunft in Lissabon klar, dass Italien dem fast gleich großen Großbritannien gleichgestellt werden müsse. Das brachte die portugiesische Ratspräsidentschaft in großer Verlegenheit. Wo den zusätzlichen Sitz hernehmen, um Italien von 72 auf 73 Sitze aufzustocken?
Als Bundeskanzlerin Angela Merkel in Lissabon eintraf, hatte sie sich von ihrem Parteifreund Elmar Brok (EVP) schon per SMS erklären lassen, wie das Problem aus der Welt zu schaffen sei. Brok hatte als Vertreter der konservativen Parlamentsfraktion den Reformprozess in der Regierungskonferenz begleitet. Mit den beiden anderen Parlamentsvertretern war er sich einig: Zur Not kann Italien einen Sitz mehr bekommen, da in der Praxis der Sitzungsleiter nie von seinem Stimmrecht Gebrauch macht.
Vier Tage später taten die Abgeordneten in Straßburg das daraus sich ergebende Verwirrspiel um Parlamentssitze und Stimmrecht als "absurde Episode" ab, wie der deutsche CDU-Abgeordnete Hartmut Nassauer formulierte. "Es dürfte ja keine Frage sein, dass der Rat nicht legitimiert ist, einem gewählten Vertreter sein Stimmrecht zu beschneiden", erklärte Nassauer selbstbewusst.
Das war den Regierungsvertretern in Lissabon, als sie sich auf 751 Parlamentssitze verständigten, keineswegs klar. Denn Elmar Brok selber hatte das Verfahren vorgeschlagen. Doch schon wenig später ruderte Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering (CDU), der ebenfalls nach Lissabon gereist war, zurück. Zwar enthalte sich der Sitzungsleiter bei Abstimmungen meist der Stimme, weil er damit beschäftigt sei, den reibungslosen Ablauf zu garantieren und die Änderungsanträge zu sortieren, erklärte er einer Presseagentur. Er tue das aber freiwillig und werde sich das Recht nicht nehmen lassen, nach Belieben an Abstimmungen teilzunehmen. Eine solche Vorgabe sei in keinem der von den EU-Staats- und Regierungschefs 18. Oktober beschlossenen Texte enthalten.