Schweiz
Die Rechnung des Populisten Blocher ist aufgegangen - er ist der Sieger der Parlamentswahl vom 21. September
Die Schweiz ist bei der jüngsten Parlamentswahl leicht nach rechts gerückt, an ihrer politischen Stabilität wird sich aber auch nach einem aufgeheizten Wahlkampf nichts ändern. So knapp zusammengefasst könnte man das Ergebnis des Wahlgangs für die Große Kammer, den Nationalrat, bewerten und dann in Europa zur Tagesordnung übergehen - wenn es Christoph Blocher nicht gäbe. Der Selfmademan, Milliardär und die unumstrittene Nummer Eins der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), hat die politische Landschaft in der Schweiz nämlich kräftig aufgemischt. Mit einem Anteil von jetzt 29 Prozent oder fast einem Drittel der Sitze (62) im Nationalrat (200 Sitze) war seit 1919 noch nie eine Partei so stark in der Schweiz. Und das verdankt sie Blocher - dem heute 67-jährigen Pastorensohn aus Schaffhausen, der in der Chemiebranche Millionen machte und ohne den im Ausland kaum jemand vom Wahlgeschehen bei den Eidgenossen Notiz nehmen würde.
Das Wahlergebnis ist schnell erklärt: Neben dem überragenden Sieg der SVP mit einem Plus von 2,3 Punkten gegenüber 2003 konnten nur noch die Grünen glänzen; sie legten um 2,2 Punkte zu auf 9,6 Prozent. Die Sozialdemokraten (SP) brachen um 3,8 Prozent auf 19,5 Prozent ein, während sich der Zentrumsblock mit Freisinnigen (FDP) mit 15,6 Prozent (minus 1,7) und den Christdemokraten (CVP) mit 14,6 (plus 0,2) gerade so halten konnten. Die restlichen Parteien spielen dabei keine Rolle. Für das weitere politische Leben in der Schweiz gehen auch von den Ergebnissen für die Kleine Kammer, den Ständerat der Kantone, keine großen Änderungen aus.
Dass die SVP zulegen würde, war schon im Vorfeld der Wahlen klar. Alles drehte sich im Wahlkampf nur um Blocher und seine Partei. Um die Welt ging das Foto des SVP-Wahlplakates mit drei weißen und einem schwarzen Schaf, das aus der Schweiz herausgekickt wird. Blocher nannte es "schön" und "liebevoll", andere erkannten darin eher Rassismus, und selbst ein Menschenrechtsexperte der Vereinten Nationen mischte sich ein und forderte, das Plakat zurückzunehmen. Das brachte Blocher und die SVP sogar in die "New York Times" - und mobilisierte die Wähler. Mit fast 50 Prozent gingen so viele zur Wahl wie seit 1975 nicht mehr.
Die SVP stellte ihren Wahlkampf völlig auf die Ausländerproblematik und den Kampf gegen zuviel Einfluss der EU ab. Als Blocher dann auch noch Verschwörungstheorien gegen sich und sein Amt als Justizminister aus dem Hut zauberte, lag der Wahlkampf endgültig in seiner Hand. Die Sozialdemokraten tappten in die Falle und machten den Slogan "Blocher muss weg" zum Programm. Dafür bekamen sie am Wahltag die Quittung, denn ihre klassischen Themen - Steuergerechtigkeit, Alterssicherung, Lohndumping - fielen unter den Tisch.
Nach der Wahl ist vor der Wahl, denn nun herrscht bis zum 12. Dezember in der Schweiz große Spannung, wer in der neuen Regierung sitzen wird. Und die wird von beiden Kammern des Parlaments gewählt, wofür man Koalitionen braucht. Bisher waren alle großen Parteien nach dem Konkordanzprinzip an der Regierung beteiligt. Einen Chef mit Richtlinienkompetenz - wie etwa die deutsche Bundeskanzlerin - gibt es nicht. Die SVP stellte bisher zwei Minister (Bundesräte), ebenso wie die Sozialdemokraten und die FDP, die CVP ist mit einem Minister vertreten. Das Kabinett, der Bundesrat, arbeitet nach dem Kollegialitätsprinzip und entscheidet im Konsens. Das bedeutet, dass auch ein Vertreter, der nicht der Meinung seiner Kollegen ist, den Beschluss nach außen vertreten muss.
Gegen dieses Prinzip hat Blocher häufig verstoßen - nicht plump, sondern mit dem Geschick eines großen politischen Talents und Strategen. Denn Blocher spricht die Sprache der einfachen Leute, weiß sich aber auch auf dem diplomatischen Parket geschickt zu bewegen. Blocher - das müssen seine Gegner ihm lassen - trifft meistens den Nerv, er ist ein Populist und sicher manchmal auch ein Demagoge, aber ein "tumber Brauner", ein "hirnloser Hetzer" ist er nun wirklich nicht.
Und die Schweizer fühlen sich bedrängt - von der EU, von der sie umzingelt sind, und von Ausländern, die sich nicht integrieren lassen. In Zeiten der Unsicherheit, wenn die Swissair am Boden liegt und der Schweizer Franken im Vergleich zum Euro abstürzt, schließen sie sich zusammen.
Dennoch sehen politische Kommentatoren keinen Grund, das Wahlergebnis als einen Beweis für eine starke Veränderung in der Schweiz zu bewerten. Blocher und seine SVP konnten ihre Basis zwar noch einmal verbreitern. Doch damit sei auch das Ende der Fahnenstange erreicht, heißt es.
Um ihre Regierungsfähigkeit zu beweisen, hat die SVP-Führung denn auch nach der Wahl sofort beteuert, dass sie am bisherigen Regierungsstil und der Zusammensetzung des Bundesrates nichts ändern will. Indes wollen die Dank Klimawandel erstarkten Grünen einen der sieben Ministerposten. Sie denken sogar laut über eine Koalition aus Bürgerlichen und Sozialdemokraten gegen die SVP nach - ein Bundesrat ohne Blocher, von dem eben auch die SP im Wahlkampf träumte. Das wird in der Schweiz als Phantasterei abgetan. Wahrscheinlich ist, dass das neue Parlament am 12. Dezember eine neue-alte Regierung wählt und die Schweiz somit stabil bleibt.
Kontinuität dürfte somit auch weiterhin das politische Denken in der Schweiz bestimmen. Das System ist so aufgebaut, dass zu viel politische Macht in einer Hand durch die direkte Demokratie nicht nur kontrolliert, sondern teilweise auch neutralisiert wird. Blocher ist viel zu sehr Schweizer, als dass er dies nicht wüsste. Und er weiß auch, dass er sich der Realität stellen muss. Etwa bei den Verhandlungen mit der EU, mit der die Schweiz eng verwoben ist und ohne die die Eidgenossen ihren Wohlstand nicht werden halten können. Daran werden sich die SVP und ihr Mentor Blocher wohl auch im eigenen Interesse halten.