SPD
Barbara Hendricks verantwortet künftig die Finanzen der Partei. Die bisherige Parlamentarische Staatssekretärin setzt auf Unabhängigkeit und Frauenpower.
Eine Menschenfischerin ist sie nicht. Aber eine Expertin für Zahlenwerke und Finanzierungen. Kurz vor ihrer Wahl zur neuen Schatzmeisterin der SPD ist sie zur Jubiläumsfeier des Freiherr-von-Stein-Gymnasiums in Kleve gekommen, ihrer niederrheinischen Heimatstadt an der holländischen Grenze. Hunderte aufmerksame Schülerinnen und Schüler sitzen erwartungsvoll in der Aula und gucken auf die Besucherin aus Berlin.
Sie verstehen nur wenig von Hendricks Rede, das Tuscheln wird immer lauter. Die Frau im Kostüm spricht am Mikrofon über die historische Figur von Stein und seine Bedeutung für das heutige Finanzsystem. Die bisherige Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium vom Parteikollegen Peer Steinbrück weiß, wovon sie spricht - aber offenbar nicht, vor wem. Sie siezt die Schüler und erzählt ihnen vom Subsidiaritätsprinzip, der Gemeindefinanzordnung, den drei Arten von Banken: private Banken, genossenschaftliche Banken, öffentlich-rechtliche Banken. Handyspiele werden bemüht. Am Ende hebt Hendricks den Zeigefinger. "Eine Anekdote erzählen" nennt sie das: Sie habe kürzlich bei einem Abiturtreffen eine alte Freundin wiedergetroffen. Die habe gesagt: "Wie gut, dass wir im Englischunterricht so getriezt wurden, sonst hätte ich jetzt Schwierigkeiten im Job." Mmh. Die Schüler gucken erstaunt.
Am vergangenen Wochenende wurde Hendricks auf dem Hamburger Bundesparteitag der SPD zur neuen Herrin über das Finanzimperium der SPD gewählt. Die bisherige Bundesschatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier wollte aus Altersgründen nicht mehr kandidieren. Schon im Frühjahr hatte sich der Parteivorstand der SPD einstimmig für die 55-jährige Nachfolgerin ausgesprochen. In Berlin genießt Hendricks großes Ansehen, sie gilt als kompetent. An der jungen Basis ihres Wahlkreises fällt ihr die Überzeugungsarbeit schwerer. Als die Schüler auf Spickzetteln vorbereitete Fragen zur Politikverdrossenheit stellen, wird sie ungehalten. "Ihr könnte doch alle in Parteien eintreten, das ist doch viel leichter als früher", sagt sie. "Wer hindert Sie denn daran, sich zu engagieren?", ruft sie. Und: "Politiker müssen auch geachtet werden." Vieles, was jetzt an negativen Eindrücken kursiere, sei den Medien geschuldet. Hendricks ist überzeugt vom Parteiensystem und sorgte in diesem Jahr schon mit der Forderung für Aufsehen, die geringer werdende Mitgliederzahl der Parteien durch höhere staatliche Zuwendungen auszugleichen. "Das parlamentarische System ist auf Parteien angewiesen, also müssen sie auch finanziert werden", sagte sie. Sie hält viel von ihrem Berufsstand und findet, dass Politiker immer ein bisschen mehr Engagement zeigen als durchschnittliche Bürger.
Hendricks wahrt Distanz. Sie versucht erst gar nicht, die Jugendlichen in ihrem Jargon anzusprechen. Nicht eine Sekunde schlüpft sie aus der Rolle der Finanzpolitikerin. So macht sie dem Schülervertreter Benjamin ein bürokratisches Geschenk: 30 Briefmarken aus dem Finanzministerium. Benjamin dankt artig. Ein paar Marken muss sie dem verdutzten Schlaks aber dann doch wieder abnehmen, um sie dem Schulleiter und Bürgermeister zu vermachen.
Hendricks hatte es nie leicht in dem 50.000 Einwohner starken Ort Kleve. Hier sind die Häuser aus rotem Backstein, die Bürgersteige sauber, das Land flach. Die durchschnittlichen Klever sind katholisch und wählen seit Jahrzehnten die CDU. Auch Hendricks Familie ist religiös, "aber nicht frömmelnd", wie sie sagt, außerdem konservativ "aber offen". Hendricks ist den Familientraditionen halb entflohen - zwar ging auch sie zur Kirche und kümmerte sich zehn Jahr lang um die Bücherausleihe, jeden Mittwochnachmittag und Sonntagmorgen. Mit dem Studenten- begann aber auch ihr politisches Leben: Sie trat in die SPD ein, weil sie für Bildungschancen für alle kämpfen wollte. Es waren die 70er-Jahre, die regierende NRW-SPD gründete gerade im ganzen Land Gesamtschulen und stampfte im Ruhrgebiet Universitäten für die Arbeiterkinder aus dem Boden. "Ich wollte mit verändern", sagt Hendricks. Sie trat in die Bonner SPD ein - dort wo sie auch Geschichte und Sozialwissenschaften studierte. Promoviert hat sie dann wiederum über ein Thema ihrer Heimat: "Die Entwicklung der Margarineindustrie am unteren Niederrhein".
Später kehrte sie in die Region zurück und verlegte ihren Wahlkreis wieder nach Kleve. Dorthin, wo noch nie ein SPD-Kandidat einen Wahlkreis gewonnen hat. Sie zog immer über die Liste ein - auch dank der Frauenquote. "Sie ist absolut wichtig", sagt Hendricks. Ohne sie hätten "qualifizierte und begabte Frauen" wie sie kaum eine Chance in der SPD gehabt. Als kürzlich ein Unterbezirk am Niederrhein die Quote abschaffen wollte, hat Barbara Hendricks sich gegen dieses Ansinnen gestellt. "Die Quote ist eine historische Errungenschaft", sagt sie und ist damit ganz einer Meinung mit ihrer Vorgängerin Inge Wettig-Danielmeier. Die langjährige Schatzmeisterin der SPD hatte vehement für die Gleichberechtigung gekämpft und galt vor allem als knallharte Fachfrau. Als sie im Zuge der schwarzen Kassen bei der CDU ebenfalls vor dem Untersuchungsausschuss aussagen musste, legte sie einen bravourösen Auftritt hin. "Es sind große Fußstapfen, in die ich trete", sagt Hendricks. Es wirkt so, als mache ihr gerade das Spaß.
Hendricks ist ganz in die Finanzwelt eingetaucht - sie lebt sogar mit zwei Finanzexpertinnen von der SPD in einer Berliner Wohngemeinschaft. "Da wird auch schon einmal am Küchentisch über die Strategie beraten", sagt sie. Aber eigentlich würden sie sich allenfalls abends begegnen. Alle drei hätten einen langen Arbeitstag und reisten am Wochenende in ihre Heimatorte. Die Küche sei nur für das Frühstück da, gekocht werde selten. Eine "Zugehfrau" von einer angemeldeten Agentur mache die Wohnung sauber.
Einem Flügel in der Partei will sie sich nicht zuordnen. Sie versteht sich als unabhängig - auch wenn ihr viele immer eine Nähe zum konservativen Seeheimer Kreis nachsagen. Zunächst aufgefallen ist Hendricks Talent jedenfalls in Nordrhein-Westfalen. Als Mitte-20-Jährige war sie einige Jahre persönliche Referentin vom damaligen NRW-Finanzminister Diether Posser (SPD). "Ich habe immer gesagt: Sie ist für höhere Aufgaben bestimmt", sagt Posser heute über seine damalige Mitarbeiterin. Sie sei sehr klug und sachkundig und habe immer gewusst, wann es zu reden und wann es zu schweigen gilt. Auch Hendricks hat positive Erinnerungen an ihre Zeit unter Posser. Von ihrem zweiten Chef, Finanzminister Heinz Schleußer (SPD), habe sie gelernt, in der Partei Stimmen zu sammeln und mit Kontroversen umzugehen.
Wie kontrovers ihre Führung der Konten wird, will sie nicht verraten. "Ich werde eigene Akzente setzen", sagt sie nur. Sie findet den neuen Job spannend, weil er Macht verleiht. "Gestaltungsmöglichkeiten" biete er, sagt sie. Sie wird nicht nur über die Verwendung der Mitgliedsbeiträge aller Genossinnen und Genossen wachen. Auch das Vermögen der SPD, das in Immobilien und Grundbesitz steckt, liegt in ihrer Hand.
Brisant ist vor allem das Mediengeschäft der SPD - sie ist die einzige Partei, die größere Anteile an der freien Presse besitzt. Die Medienholding der SPD, die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft (DDVG), hat im Geschäftsjahr 2006 ihr bisher bestes Ergebnis erzielt. Die DDVG hält Beteiligungen an vielen regionalen Verlagen und Druckereien (Westfälische Verlagsgesellschaft, Frankenpost Verlag, Frankfurter Rundschau) sowie Vertriebsgesellschaften. Hendricks wird in den kommenden Jahren über eine dreistellige Millionensumme entscheiden müssen. Aber das wird ihr sicherlich leichter fallen als ein Gespräch mit Heranwachsenden.