Ein seltsames Gefühl muss es gewesen sein, als an jenem 30. Oktober 1992 die Abgeordneten in den Reihen des neu gebauten Bonner Plenarsaals Platz nahmen. War doch der Umzug nach Berlin bereits seit dem 20. Juni 1991 beschlossene Sache.
Sechs Jahre hatte es gedauert, bis das von Günter Behnisch entworfene Gebäude mit der transparenten Glasfassade den Parlamentariern in Bonn ein neues Zuhause bot. "Mehr Durchsichtigkeit des parlamentarischen Geschehens" gab der Bundestag dem Architekten als Anforderung mit auf den Weg. Viel Glas und eine veränderte Sitzordnung im Inneren trugen diesem Wunsch Rechnung: Während Regierung und Bundesrats-Vertreter zuvor den Abgeordneten erhöht gegenüber saßen, reihten sie sich jetzt in ihren Kreis ein. "Die Regierung wird aus der Mitte des Parlaments legitimiert", drückten die Sitze so symbolisch aus.
Was so gut gedacht war, funktionierte allerdings anfangs gar nicht gut. Die Tonanlage nämlich gab beizeiten ihren Geist auf. Die Lautsprecher schwiegen, nur die Opposition war noch gut zu hören. Nicht nur die technischen Anlagen bereiteten Probleme, sondern auch die Akustik des Raumes selbst. Mehr als neun Monate mussten die Abgeordneten daher nochmals warten, bis sie ihren neuen Plenarsaal wieder nutzen konnten.
Zu diesem Zeitpunkt hatten die Parlamentarier schon zwei Ortswechsel hinter sich: Anfangs beherbergte die "Pädagogische Akademie Bonn" den Deutschen Bundestag - ein historischer Ort, denn hier tüftelten die Väter und Mütter des Grundgesetzes an den Verfassungstexten. Von Beginn an nur als Provisorium gedacht, entschlossen sich die Parlamentarier in den siebziger Jahren zu einem Neubau des Plenarsaals. Vorübergehend mussten sie deswegen in das Bonner Wasserwerk ziehen. Wo sich bis 1958 noch die Förderräder für das Grundwasser drehten, arbeiteten bis zu jenem 30. Oktober 1992 die Gesetzesmühlen.
Sieben Jahre, bis zum Umzug in das Berliner Reichstagsgebäude, residierte das deutsche Parlament im Neubau zu Bonn. Heute hat ein internationales Kongresszentrum darin seinen Sitz.