Dieter Lenzen
Der FU-Präsident steht künftig einer Eliteuni vor. Dennoch will er die breite Masse der Studierenden nicht vergessen.
Herr Lenzen, herzlichen Glückwunsch. Die Freie Universität, lange als Westberliner Stiefkind der deutschen Wissenschaft angesehen, ist nun Universität mit Elitestatus. Worauf führen Sie es zurück, dass Deutsche Forschungsgemeinschaft und Wissenschaftsrat an der FU nicht vorbeikamen?
Wissen tue ich es natürlich nicht; die Beratungen waren ja geheim. Aber ich weiß, dass es uns in den vergangenen Jahren gelungen ist, die FU grundlegend zu reformieren: von einer beliebigen Massenuniversität hin zu einer Institution, in der jeder seine Kompetenzen und seine Verantwortung kennt und in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen und auch umzusetzen. Zusätzlich haben wir dem Campus in Dahlem einen "Spirit" verleihen können, der dafür sorgt, dass Menschen gerne kommen und mitwirken wollen. Und wir haben die Forschungsleistungen dramatisch verbessert; die großen Forschungs-Rankings kommen an der FU ja schon seit ein paar Jahren nicht mehr vorbei. Zu guter Letzt haben wir ein Zukunftskonzept vorgelegt, das ebenso ambitioniert wie realistisch ist: Im Zeitalter der Globalisierung wird eine internationale Netzwerkuniversität im wissenschaftlichen Wettbewerb enorme Vorteile bringen.
Berlin und Deutschland international stärken will auch Berlins Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner. An einem eigenen Standort mit eigenem Namen und in einer akademischen Institution neuen Typs sollen ab 2009 Berliner Spitzenforscher aller Universitäten gemeinsam mit internationalen Koryphäen arbeiten.
Ich begrüße ja, dass das Land Berlin, das an den Universitäten jahrelang gespart hat, der Wissenschaft nun sogar zusätzliches Geld zur Verfügung stellen will. Ein neues Institut brauchen wir dafür aber mit Sicherheit nicht. Die FU Berlin wie die beiden anderen Universitäten sind hervorragende Adressen. Wir brauchen keine weitere.
Wäre eine exzellente Adresse nicht besser als drei universitäre zuzüglich derer der Forschungsinstitute? Jürgen Zöllner argumentiert, das internationale Image Berlins sei undurchsichtig.
Darüber werden wir mit ihm reden. Und sollten wir zu dem Schluss kommen, dass es tatsächlich an einem "Branding" fehlt, ist die FU gerne bereit, sich an einem gemeinsamen Namen für die Spitzenforschung zu beteiligen. Etwas wie ein "Berliner Exzellenz-Verbund", der Spitzenforschung unter ein gemeinsames Label stellt, ist sicher vorstellbar. Eine neue Universität ist es nicht -übrigens nicht nur, weil der Exzellenzwettbewerb uns gerade erst nach intensivster Beschäftigung der Anträge dazu aufgefordert hat, diese oder jene Spitzenforschung selbst zu betreiben. Ein solches Institut spricht auch dem Einklang von Forschung und Lehre Hohn. Ein ganz normaler Bachelor-Student würde die Forscher einer solchen Super-Uni nie zu Gesicht bekommen.
Und so? Die allermeisten der 35.000 FU-Studierenden werden weder ein Exzellenxcluster noch eine Graduiertenschule besuchen. Welche positiven Auswirkungen hat der Elitestatus also für sie?
Ich halte es für ganz selbstverständlich, dass jeder neue Professor, den wir nun anwerben - und wir können eine ganze Menge anwerben - auch Bachelor-Studierende unterrichtet. In Harvard ist das übrigens auch so. Ich bin nicht sicher, ob wir jeden, den wir wollen, zahlen können - aber dass jeder, der kommt, auch lehrt, steht fest. Anders als häufig behauptet, wird die breite Masse der Studierenden durchaus etwas von unserem Erfolg haben.
Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), deren Vizepräsident Sie sind, hält darüber hinaus eine massive Verbesserung der Betreuung von Studierenden für unabdingbar: Statt 50 Studierende soll der statistische Professor von morgen nur noch 25 betreuen.
Richtig - und wir haben der Kultusministerkonferenz (KMK) in der vorvergangenen Woche auch sehr deutlich gesagt, dass wir das ernst meinen. Wir haben angeregt, dass eine gemeinsame Arbeitsgruppe von HRK und KMK nun einen Plan erstellt, wie das Ziel umzusetzen ist. Und wenn wir es auch nicht in fünf Jahren schaffen - binnen zehn bis 15 ist es machbar.
Eine faktische Verdopplung der Betreuung von Studierenden könnte bundesweit einen zweistelligen Milliardenbetrag ausmachen. Wer soll das bezahlen?
Wir gehen davon aus, dass sich das mit vier Milliarden Euro schultern lassen würde. Das ist zweimal so viel Geld wie für die Exzellenzinitiative aufgebracht wurde und würde bundesweit allen Studierenden an allen Universitäten und Fachhochschulen zu Gute kommen. Mit ein bisschen politischem Willen ist das möglich, und das Klima ist günstig: Nach zwei Nobelpreisen für Deutschland hat Wissenschaft Konjunktur. Zurzeit ist es gerade einmal nicht so, dass die Bevölkerung fragt: Wofür gebt ihr da eigentlich unser Geld aus?
Die Zahl der Studierenden, die bessere Lehre brauchen, dürfte sich weiter erhöhen. Das erklärte Ziel der Bundesregierung ist, die Studierendenquote von 35 auf 40 Prozent zu heben. Was kann eine Universität tun, um mehr Schulabgänger zu einem Studium zu ermutigen?
Ich hoffe: sehr viel. Nach der ersten Amtszeit als Präsident, in der die Exzellenzinitiative auf der Agenda ganz oben stand, habe ich mir für die zweite Periode die Lehre und die Studienbeteiligung als Schwerpunkt gesetzt. Weil wir in der Wissensgesellschaft mehr Akademiker brauchen, aber auch aus Gründen der Bildungsgerechtigkeit muss es uns vor allem gelingen, mehr Schüler aus bildungsfernen Schichten anzuwerben.
Die kommen häufig aus ganz anderen Gründen nicht an die Universitäten als wegen ihrer Zeugnisse. Ihre Eltern können ihnen auf dem Weg ins Studium zum Teil bei ganz banalen Schritten wie der richtigen Bewerbung nicht helfen; und sie kennen auch sonst niemanden, den sie fragen können. Also kommen sie nicht.
Was kann getan werden, um das zu ändern?
Alles in allem gilt: Wir müssen viel genauer lernen, wer an die Uni kommt - und warum jene, die nicht kommen, wegbleiben. Die müssen wir dort, wo sie sind, abholen: mit besseren Kooperationen mit Schulen zum Beispiel. Das große Problem des deutschen Bildungssystems sind die Übergänge zwischen den einzelnen Stufen.
Und wenn auch trotz Abitur die "Studierfähigkeit" fehlt - also Kenntnisse in Mathe oder Deutsch, kreative Schreibfähigkeiten oder Grundkenntnisse im wissenschaftlichen Arbeiten?
Nachdenken könnte man zum Beispiel über ein Kolleg-Modell, das Gymnasium und Studium verknüpft. Ein Kollegjahr könnte Studienanfängern die Möglichkeit zur Orientierung wie auch zum Nachholen bestimmter Kompetenzen bieten. Am Ende hätten sie die Möglichkeit, sich gezielter für einen Studiengang zu entscheiden als vor allem Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern das können. Und sie hätten eine bessere Grundlage für ihr Studium. Ob sie dann alle tatsächlich Bachelor oder Master machen ist eine andere Frage.
Was sollten sie sonst tun?
Mittelfristig werden wir um ein stärker gestuftes System nicht herumkommen. In den USA ist völlig üblich, dass Studierende die Uni mit einem Satz Zertifikate für bestimmte Module verlassen und so nachweisen, was sie gelernt haben. Das deutsche System ist mit dem berufsqualifizierenden Bachelor zwar etwas flexibler geworden, aber immer noch abschlussorientiert. Wir müssen auch denen etwas mitgeben, die kein volles Studium absolvieren wollen oder können. Sie haben ja etwas gelernt - also muss man ihnen auch die Möglichkeit geben, damit etwas zu machen.