NATURSCHUTZGESETZ
Bundestag beschließt nach zähem Ringen Umsetzung des EuGH-Urteils
Nur wenige Kilometer vom Reichstag entfernt, in der Spandauer Zitadelle, lebt die Wasserfledermaus, Myotis daubentoni, mit anderen Artgenossen in dem mittelalterlichen Gemäuer. Wie über ein Dutzend anderer Fledermäuse steht auch sie auf der Roten Liste gefährdeter Tierarten. Fledermäuse sind nachtaktive Tiere - eine Eigenschaft, die sie durchaus mit vielen Parlamentariern teilen. Und so wurde im Plenum zwar nicht in der Nacht, aber am späten Abend des 24. Oktober über die kleine Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes heftig debattiert - und damit nach Meinung vieler auch über das Schicksal der Myotis daubentoni. Während die Koalition mit der Novelle den Artenschutz verbessert sieht, kann die Opposition darin keine Stärkung des Naturschutzes erkennen.
"Was lange währt, wird endlich gut", sagte die Parlamentarische Staatssekretärin Astrid Klug (SPD) in Anspielung auf das Verfahren, das sich über mehr als 20 Monate hingezogen hatte. Insgesamt sieben Mal war das Thema auf die Tageordnung des Umweltausschusses gesetzt, aber immer wieder vertagt worden. Dabei handelt es sich bei dem Gesetzentwurf eigentlich nur um ein Änderungsgesetz. Es war notwendig geworden, weil Deutschland nach Meinung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) mit dem bisherigen Naturschutzgesetz nicht in allen Punkten die europäische Flora- und Fauna-Richtlinie (FFH) umgesetzt hat. Zuletzt hatte Deutschland sogar ein Vertragsverletzungsverfahren und damit verbunden eine saftige Strafzahlung aus Brüssel in Millionenhöhe gedroht. Hinzu kam, dass der Bund nach der Föderalismusreform zwar noch für den Artenschutz verantwortlich ist, der Bundesrat der Novelle aber ebenfalls zustimmen musste.
Unter dem Damoklesschwert Brüssels verabschiedete der Bundestag am vergangenen Mittwoch den Gesetzentwurf ( 16/5100 ) mit den Stimmen der Koalition. Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke votierten gegen das Gesetz, die FDP-Fraktion enthielt sich der Stimme. Zuvor hatte die Koalition acht und die FDP zwei Änderungsanträge eingebracht, Bündnis 90/Die Grünen einen.
Besonders umstritten war dabei die Frage, wie Eingriffe in die so genannten Natura-2000-Gebiete zu definieren seien. 16 Zeilen lang war die ursprüngliche Begriffsbeschreibung, die für viel Unmut gesorgt hatte. Als Kompromiss wurde auf Anraten der EU-Kommission ganz auf den Projektbegriff verzichtet. Eine Einigung, die auch von der FDP begrüßt wird: "Die Bundesregierung hat sich im Bezug auf den Projektbegriff auf eine praxisnahe Lösung verständigt", sagte Angelika Brunkhorst.
Lutz Heilmann von der Fraktion die Linke hingegen forderte in der Debatte "keine unbestimmten Rechtsbegriffe zu verwenden, um Rechtssicherheit zu gewährleisten und Vollzugsprobleme zu vermeiden". Auch für Undine Kurth (Bündnis 90/Die Grünen) ist der nicht mehr vorhandene Rechtsbegriff "keine Lösung und keine Verbesserung". Weitaus mehr ärgert sich aber nicht nur Kurth über die möglichen Konsequenzen für den Artenschutz: "Angesichts der Debatten über die Gefährdung der biologischen Vielfalt ist diese Novelle verantwortungslos", sagte sie.
Auch die Linke fürchtet, dass durch den Gesetzentwurf "Arten erster und zweiter Klasse geschaffen" werden, "wenn der Seefrosch, der vom Aussterben bedroht ist, weniger geschützt werden soll als der gefährdete Kammermolch, weil der Schutzstandard dieses Gesetzes nur für europarechtlich geschützte, jedoch nicht für nationale Arten gelten soll", so Heilmann. Bedenken, die auch von den Naturschutzverbänden BUND und NABU geteilt werden, die in einigen Punkten des Gesetzes ebenfalls einen "Rückschritt für den Artenschutz" fürchten. Friedrich Wulf, Naturschutzreferent des BUND, sieht aber auch, dass alle Beteiligten an einen Tisch geholt werden müssen und in Zukunft in Zusammenarbeit mit den Bewirtschaftern "nicht nur reaktiv, sondern auch proaktiv" gehandelt werden müsse.
Dirk Becker (SPD) weist diese Vorwürfe entschieden zurück: "Die Novelle stärkt den Artenschutz in Deutschland und ist damit Grundlage für die Erstellung des Umweltgesetzbuches", sagte er. Und er verweist darauf, dass es in diesem Verfahren nach dem EuGH-Urteil darum gehe, "die FFH-Richtlinie in deutsches Recht umzusetzen". Nationale Arten seien kein Bestandteil in diesem Verfahren. Auch Forstwirt Josef Göppel (CDU/CSU) ist überzeugt, dass mit der Novelle der Schutz der Arten in den Natura-2000-Gebieten verbessert werde. Er begrüßte, dass nach "guter fachlicher Praxis" für land-, forst- und auch fischereiwirtschaftliche Bodennutzung "keine Umweltverträglichkeitsprüfung mehr erforderlich ist". Göppel setzt auf Kooperation mit den Nutzern in den Natura-2000-Gebieten: "Mir geht es darum, dass die Nutzer und die Eigentümer dieser Flächen die Regelungen gut akzeptieren", so Göppel.
Auch nach der Verabschiedung des Gesetzes wird der Artenschutz auf der politischen Agenda bleiben. Neben einem neuen Umweltgesetzbuch hat Deutschland eine weitere schwierige Aufgabe zu erfüllen: als Gastgeber der Weltnaturschutzkonferenz über die biologische Vielfalt. Im Mai 2008 werden in Bonn mehr als 6.000 Vertreter aus aller Welt darüber diskutieren, wie die Artenvielfalt bis zum Jahr 2010 weltweit besser geschützt werden kann. Auf der "Festplatte", die die Informationen der Vielfalt der Arten speichert, sollen auch die Daten der Myotis daubentoni nicht verloren gehen. Denn, so Astrid Klug: "Funktionierende Ökosysteme und die biologische Vielfalt sind unsere natürliche Lebensversicherung."