Peter Struck
Der SPD-Fraktionschef will weiter für den Mindestlohn kämpfen. Auch mit Unterschriftenkampagnen in den Landtagswahlkämpfen.
Nach dem Rücktritt von Franz Müntefering sind Sie von der einstigen SPD-Troika Schröder-Müntefering-Struck allein übrig geblieben. Stimmt Sie das ein bisschen wehmütig?
Ich sehe den Weggang von Franz Müntefering mit großem Bedauern. Er war nicht nur ein politischer Pfeiler in der Großen Koalition, er ist auch ein persönlicher Freund.
Werden Sie nach der nächsten Bundestagswahl 2009 definitiv nicht mehr Fraktionschef der SPD sein?
Das kann man heute überhaupt nicht sagen. Wir müssen sehen, wie das Wahlergebnis sein wird. Da sind ja verschiedene Konstellationen denkbar. Aber ich glaube schon, dass ich auch nach der Wahl noch eine Rolle spielen werde in der Fraktion und in der Partei.
Sie können sich also auch vorstellen, dann weiterhin Fraktionschef zu sein?
Ich glaube, meine Fraktion hätte nichts dagegen.
In der "Süddeutschen Zeitung" war gerade zu lesen, das Verhältnis von Ihnen zu Bundeskanzlerin Angela Merkel sei ein verlässliches Barometer für die Stimmung in der Koalition. Wie ist die Wetterlage aktuell?
Die Wetterlage ist bedeckt, jedenfalls nicht sonnig - auch durch die Tatsache, wie das Thema Post-Mindestlohn von der Kanzlerin behandelt worden ist. Ich gehe davon aus, dass es ein einmaliger Vorgang war. Wenn so etwas öfter vorkäme, würde das die Arbeit in der Koalition schwer beeinträchtigen. Aber wir sind beide fest entschlossen, bis zur Wahl 2009 ordentlich zusammenzuarbeiten.
Wie viele Wortbrüche verträgt denn die Große Koalition noch?
Ich glaube, dass Frau Merkel schon die Brisanz erkannt hat. Wenn ein Kabinett etwas beschließt, das auch noch mal in einer Koalitionsrunde bestätigt wird, kann man davon nicht plötzlich abweichen.
Die Kanzlerin hat sich zu dem Vorwurf des Wortbruchs in der "Bild"-Zeitung wie folgt geäußert: "Ich halte stets das Wort, das ich gegeben habe, aber nicht eines, das die SPD am liebsten genommen hätte." Was stimmt denn nun?
Natürlich ist das ihre Argumentation; das ist immer so, wenn einer sein Wort nicht gehalten hat, dass er dann sagt, er habe es gar nicht gegeben.
Merkel sagt auch, dass die Tür beim Mindestlohn für Briefdienstleister noch nicht zu sei. Was muss Ihrer Ansicht nach passieren, damit es doch noch zu einer Einigung kommt?
Es wird nicht auf der Grundlage der Vorstellungen der Union gehen, die sich stark hat unter Druck setzen lassen von Zeitungskonzernen, die geringere Löhne zahlen als die Post AG. Wir sind der Auffassung, dass das, was wir vorgeschlagen haben, ein faires Angebot ist - nämlich, dass der Mindestlohn, den die Postarbeitgeber und ver.di vereinbart haben, nicht für die gelten soll, die weniger als 20 Prozent ihrer Tätigkeit mit dem Zustellen von Briefen verbringen.
Wir lassen auch prüfen, welche Möglichkeiten wir nach dem Postgesetz haben. Denn darin steht, dass lizensierte Betriebe bestimmte Mindestbedingungen einhalten müssen. Dazu gehört nach unserer Auffassung auch der Lohn. Ich kann nicht sagen, ob wir uns noch einigen. Wir haben noch knapp zwei Wochen Zeit, in denen wir etwas zustande bringen können, denn zum 1. Januar 2008 erfolgt die Liberalisierung der Postmärkte.
Müssen Sie nicht eigentlich froh sein, dass der Post-Mindestlohn gescheitert ist? Immerhin hat Ihre Partei damit nun ein prima Wahlkampfthema.
Das Thema Mindestlohn bleibt bis 2009, weil es dabei große ideologische Unterschiede gibt. Die Union lehnt ja einen generellen Mindestlohn ab. Wir hätten natürlich jetzt gern für die Postler einen ordentlichen, einen menschenwürdigen Lohn erreicht.
Würden Sie Andrea Ypsilanti und Wolfgang Jüttner, Ihren Spitzenkandidaten bei den anstehenden Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen, raten, eine Unterschriftenkampagne pro Mindestlohn zu machen?
Eindeutig ja - denn viele Menschen akzeptieren es nicht, dass jemand, der den ganzen Tag arbeitet, trotzdem ergänzende Sozialleistungen in Anspruch nehmen muss. Jeder soll von seiner Hände Arbeit leben können.
Auch bei einem anderen arbeitsmarktpolitischen Thema, der so genannten 58er-Regelung für ältere Arbeitslose, steht die Union auf der Bremse. Wird die SPD die Zwangsverrentung vieler älterer Arbeitsloser noch stoppen?
Wir wollen erreichen, dass niemand, der arbeiten kann und will, in Zwangsrente geschickt wird. Nach unserer Auffassung würde es schon reichen, wenn das Arbeitsamt ihm sagt, du hast die Chance auf einen Job in den nächsten sechs Monaten, und dann wird nicht die Zwangsverrentung durchgeführt. Im Augenblick stößt das bei der Union noch auf Ablehnung. Aber da gibt es schon Vereinbarungen über Gespräche, die der neue Arbeitsminister Olaf Scholz zu führen hat. Vielleicht können wir da noch was erreichen.
Das stark umstrittene Thema der Online-Durchsuchung ist von Ihnen zur Chefsache erklärt worden. Wie steht es denn darum?
Innenminister Wolfgang Schäuble weigert sich weiter, ein BKA-Gesetz ohne den Passus zu den Online-Durchsuchungen einzubringen. Wir sagen, wir können das später aufnehmen, wenn Karlsruhe entschieden hat.
Welche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erwarten Sie?
Ich glaube, dass das Gericht die rechtsstaatlichen Bedingungen klärt, unter denen eine Online-Durchsuchung grundsätzlich zulässig ist. Wir sind im Übrigen nicht grundsätzlich gegen Online-Durchsuchungen, sondern wir sind dafür, dass man das in speziellen Einzelfällen und unter klaren rechtsstaatlichen Bedingungen macht. Ein Richtervorbehalt ist für uns selbstverständlich.
Die SPD hat einigen sehr umstrittenen Maßnahmen der Inneren Sicherheit gerade zugestimmt: der Vorratsdatenspeicherung und der Telekommunikationsüberwachung. Warum?
Wir halten beide Regelungen für rechtsstaatlich verantwortbar. Bei der Telekommunikationsüberwachung muss beispielsweise immer der konkrete Verdacht auf eine schwere Straftat vorliegen. Nicht für richtig halte ich den permanenten Hinweis von Schäuble, eigentlich stehe unmittelbar ein terroristischer Anschlag bevor und deshalb müsse die Bundeswehr im Innern eingesetzt werden können. Da verunsichert er die Menschen.
Sehen Sie den Innenminister gefährdet, die Grenzen des Rechtsstaats zu überschreiten?
Er schießt jedenfalls mit seinen Überlegungen zur Änderung des Grundgesetzes über das Ziel hinaus. Mit seiner unpräzisen Formulierung wie "Angriff auf die allgemeinen Grundlagen des Gemeinwesens" kann ich alles oder nichts erfassen.
Stichwort Pflegereform: Die Union will die geplanten Pflegestützpunkte, die als Anlaufstellen für die Hilfesuchenden gedacht sind, nicht mittragen. Warum wollen Sie dieses Vorhaben unbedingt umsetzen?
Wir haben ja lange diskutiert und verhandelt unter Führung von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, und da sind die Pflegestützpunkte vereinbart worden. Dass man davon nun wieder weggehen will, verstehe ich nicht. Ich gehe davon aus, dass wir das im Gesetz so halten, wie es auch verabredet wurde.
Was ist, wenn es nach der Wahl 2009 keine andere tragfähige Alternative zu einer Großen Koalition gibt? Können Sie sich diese Konstellation für vier weitere Jahre vorstellen?
Eine Große Koalition geht immer, egal wie die Wahlen ausgehen. Die Frage ist, ob man sich das wünschen soll. Ich bin eher dafür, dass einer starken Regierung eine fast ebenso starke Opposition gegenübersteht. Das schärft die Argumentationspflicht und ist für eine Demokratie förderlich. Vielleicht muss man sich daran gewöhnen, dass es in Zukunft mehr Dreierkoalitionen gibt als in der Vergangenheit. Klar ist jedenfalls aus meiner Sicht, dass für die SPD eine Koalition mit der Linken nicht in Frage kommt.
Gilt das so auch für die Bundestagswahl 2013?
Für mich, ja.
Das Interview führten Susanne Kailitz und Monika Pilath.