CDU-PARTEITAG
Die Union setzt mit ihrem neuen Grundsatzprogramm auf die Mitte. Die aber ist hart umkämpft.
Sie assoziiert Wärme, Gemütlichkeit und Geborgenheit: die Farbe orange. Und so war es sicher kein Zufall, dass die Parteitagsstrategen und ihre Bühnenbauer gerade diesem Ton auf dem CDU-Bundesparteitag in Hannover viel Raum gaben - weit mehr als noch vor einem Jahr in Dresden. Dort hatte noch die Farbe Blau - Sinnbild für Männlichkeit und Klugheit - den Parteitagssaal dominiert.
In Hannover harmonierten beide Farben nebeneinander - die passende Rauminszenierung zum Slogan "Die Mitte", der in großen Lettern über dem Rednerpult prangte. Von Aufruhr, Umbruch oder Umschwung im Sinne einer "orangenen" Revolution war auf diesem Parteitag vorerst nichts zu spüren. Alles deutete auf einen Arbeitsparteitag hin, auf dem die 1.001 Delegierten wie ein gut geöltes Uhrwerk die 365 Ziffern des Grundsatzprogramms abarbeiten und mehr als 2.700 Anträge aus den einzelnen Landesverbänden abstimmen sollten. Ein Programm, das dritte seiner Art, das in den kommenden zwanzig Jahren die große Linie der Christdemokraten bestimmen soll.
Es löst das 1994 beschlossene Hamburger Programm ab. Sein Titel "Freiheit und Sicherheit - Grundsätze für Deutschland" ließ allerdings kaum vermuten, dass damit politische Pflöcke eingeschlagen wurden, die noch vor einigen Jahren einer politischen Sensation gleichgekommen wären. Die Bezeichnung "Deutschlands als Integrationsland" ist in dem Programm ebenso zu finden wie das Wort Verbraucherschutz. Auch die Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften hätte beim letzten Grundsatzprogramm wohl noch eher Proteststürme ausgelöst. Neben einem modernen Familienbild enthält das über 70 Seiten starke Papier zudem auch die Forderung nach dem Einsatz der Bundeswehr im Inneren, den viel diskutierten Begriff der Leitkultur sowie die Absage an eine EU-Vollmitgliedschaft der Türkei.
"Wir verändern, was uns belastet, und wir bewahren, was uns stark macht", so das Credo von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Auftakt des zweitägigen Parteitages am 3. Dezember. Kurz zuvor hatte sie den Delegierten erklärt, wie sie die Union in den kommenden Jahren sieht: als überkonfessionelle christlich-soziale, konservative und liberale Volkspartei - die Mitte.
38 Mal findet sich in ihrer Rede das Zauberwort von der "Mitte", das der CDU im Jahr 2009 Wähler zurückbringen soll. "Hier ist die Mitte - hier, in der Mitte, sind wir - und nur wir", erklärte die Parteivorsitzende in ihrer über 70 Minuten langen Rede. Da der Platz an diesem Ort aber beschränkt ist, möchte ihn die CDU nicht mehr mit den Sozialdemokraten teilen. Zwar wirbt die SPD derzeit mit Plakaten und dem Spruch "In Deutschland bleibt die Mitte rot", dort ist sie nach Meinung der CDU aber nicht zu Hause: "In jedem Fall aber hat dieselbe Partei vor wenigen Wochen nichts anderes getan, als die Mitte aufzugeben", sagte Merkel in Anspielung auf den Parteitag der Sozialdemokraten Ende Oktober. Dort hatte Kurt Beck in das neue Grundsatzprogramm der SPD den Begriff des "demokratischen Sozialismus", wie er sagte, "ganz bewußt" aufgenommen.
"Uns Christdemokraten fehlt dafür jedes Verständnis", sagte Merkel und fügte hinzu: "Als Kraft der Mitte sagen wir: Der Sozialismus hat in Deutschland für alle Zeiten genug Schaden angerichtet. Wir wollen nie wieder Sozialismus!" Das ist Balsam für die Parteiseele und wird mit lautem Beifall quittiert, während die Delegierten zuvor eher höflich verhalten applaudiert hatten.
Ulrike Ulrich, Delegierte aus Kleve in Nordrhein-Westfalen, ist an diesem Vormittag mit ihrer Vorsitzenden zufrieden. Sie sieht in dem neuen Programm einen Paradigmenwechsel zum Beispiel bei der Familienpolitik. "Wir sind in der Lage, auf Veränderungen zu reagieren", sagt die 50-jährige Lehrerin an einem Berufskolleg. Nur bei der Frage einer Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU hätte sie sich "eine restriktivere Formulierung vorstellen können". Auch für den Bundestagsabgeordneten Thomas Dörflinger aus Waldshut ist die Rede der Kanzlerin eine "gute Standortbestimmung". Er hat aber ebenfalls noch eigene Wünsche wie etwa ein klares Bekenntnis zum Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern oder zum Ehegattensplitting. Die künftige Familienpolitik ist es dann auch, die den Parteitag kurze Zeit später aus dem gleichförmigen Abstimmungsmarathon herausreißt und die Delegierten aufhorchen lässt. Mit dem Bekenntnis zur "Wahlfreiheit" der Eltern hatte die Kanzlerin bereits eine Vorlage gegeben, die Familienministerin Ursula von der Leyen dankbar aufnahm, um für ein modernes Familienbild zu werben: "Familienpolitik ist konservativ - wertkonservativ, aber nicht strukturkonservativ", sagte sie. Gleichzeitig verteidigte sie das Elterngeld und die Partnermonate. "Ich kann mich erinnern, dass mir da ein bayerischer Löwe entgegenbrüllte", erklärte sie lächelnd - das derzeitige Reizthema eines Betreungsgeldes für Eltern, die ihre Kinder zu Hause erziehen, sparte sie in ihrer Rede aus. Das übernahm dann eine Gruppe von 27 CDU-Frauen, unter ihnen Maria Böhmer und Ilse Falk, die in einem Initiativantrag die Streichung des Betreuungsgeldes aus dem Grundsatzprogramm forderte.
Für den Erhalt der von Gegnern als "Herdprämie" gescholtenen Regelung, gab es einen Antrag von Ministerpräsident Günther Oettinger. Der wurde in der Diskussion vorwiegend von männlichen Delegierten verteidigt. Große Teile der Frauen-Union wollten aber gerade diesen Passus verhindern, hatten aber nicht mit der Kanzlerin gerechnet. Sie schaltete sich unerwartet in die Debatte ein und warb ausdrücklich für das Betreuungsgeld: "Die Wahlfreiheit erfordert, dass wir die Möglichkeit der Wahl überhaupt haben", sagte Merkel. Die Delegierten stimmten anschließend für das Betreuungsgeld und dürften der Kanzlerin damit lautes Gebrüll aus Richtung München erspart haben. Im Gegenteil, der CSU-Vorsitzende Erwin Huber "schnurrte" bei seiner Rede am nächsten Tag und dankte den Delegierten anschließend für "Ihre klare Entscheidung".
Die Delegierten waren am Vortag nach dem ersten Höhepunkt des Parteitags wieder zur Routine übergegangen und stimmten Antrag für Antrag ab. Einige dürften nach stundenlangem Heben und Senken von Stimmkarten mit ihren Gedanken schon beim bevorstehenden "Niedersachsen-Abend" gewesen sein, als die Initiativanträge D. 45, D.17 und D.21 die Spannung kurz nach der Tagesschau noch einmal auf ungeahnte Höhen klettern ließen. Die Antragskommission hatte einen Vorschlag vorgelegt, mit dem der bisherige, streng reglementierte Umgang mit Stammzellen gelockert werden soll. Die Gegner des Antrags hingegen fürchteten, dass eine mögliche Änderung des Stichtages für embryonale Stammzellen damit weiter aufgeweicht werden könnte.
Peter Hintze gab in der Debatte zu bedenken, dass Zelllinien, die vor 2002 entwickelt wurden, mit tierischen Viren verseucht seien und trat für den Antrag der Parteiführung ein: "Ich werbe sehr dafür, dass wir diesem Anschluss an die westliche Wertegemeinschaft folgen." Julia Klöckner sprach sich hingegen vehement für eine Beibehaltung der bisher geltenden Regelung aus: "Es gibt Fragen, da kann man nicht ein bisschen schwanger sein", konterte sie. Auch Maria Böhmer meldete sich in der mehrstündigen Debatte zu Wort und erinnerte daran, dass bisher immer gegolten habe, "dass menschliches Leben nicht verfügbar sei". Auch sie sprach sich für den Erhalt eines Stichtages aus, denn ansonsten "ist der Stichtag kein Stichtag mehr". Schon der gleich starke Beifall zwischen den Wortmeldungen ließ vermuten, dass es bei dieser Abstimmung zu einer knappen Entscheidung kommen könnte. Dann kam die Regie ins Spiel. Auffällig war, dass zum Ende der Debatte nur Befürworter des Antrages sprachen und die Bundeskanzlerin selbst zum zweiten Mal überraschend das Wort ergriff. Zuerst dankte sie ihren Parteifreunden für die "außergewöhnlich ehrliche Debatte", bevor sie sich dann ebenfalls für die Version der Antragskommission aussprach. Es dürfe in Deutschland keinen Anreiz für den Verbrauch embryonaler Stammzellen geben, bekräftigte Merkel und schloss sich dann der Argumentation ihrer Vorrednerin, Bundesbildungsministerin Annette Schavan an. Diese hatte zuvor erklärt, dass es unter bestimmten Bedingungen notwendig sein könne, frische Stammzellen zur Verfügung zu haben. Die anschließende Abstimmung endete so knapp, dass die Stimmen ausgezählt werden mussten: 323 Delegierten votierten für, 301 Parteimitglieder gegen den Antrag bei zehn Enthaltungen. Eine Debatte, die zeigte, dass die Farbe Orange noch anderes Potenzial in sich birgt: Energie, Aktivität und Aufregung. Aber gerade Reibung erzeugt ja bekanntlich Wärme.