Halal-Waren
Weltweit floriert das Geschäft
Darf ein türkischer Metzger, nebenbei gläubiger sunnitischer Muslim, Tiere ohne Betäubung schlachten? In Ausnahmefällen ja, entschied das Bundesverfassungsgericht in seinem viel beachteten "Schächt-Urteil" vom 15. Januar 2002. Zwar ist das Schächten nach geltendem Tierschutzrecht verboten, das Gericht argumentierte jedoch mit dem Grundrecht auf ungestörte Religionsausübung dagegen. Nach den islamischen Speisevorschriften gilt nämlich nur geschächtetes Fleisch als "halal", was so viel bedeutet wie "Das Zulässige". Hinter diesem Begriff verbirgt sich die Lehre von den elf ursächlichen Unreinheiten - Blut, Alkohol und Schwein sind die Bekanntesten. Das islamische Recht, die Scharia, verbietet sowohl besagte elf Stoffe als auch alle mit ihnen in Kontakt gekommenen Lebensmittel. Für einen Muslim sind die Vorgaben verbindlich. "Jeder Gläubige soll nach Allahs Geboten leben. Davon hängt seine Beurteilung beim Jüngsten Gericht ab", erklärt Hans-Georg Ebert, Professor für Islamisches Recht an der Universität Leipzig.
Die Hoffnung auf das Paradies beeinflusst so die ganz profanen Gerichte auf dem Essenstisch - und damit das Kaufverhalten. Vom Hustensaft bis zur Gelatine müssen sämtliche Waren das Siegel "halal" tragen. Um diese wirtschaftliche Seite der Religion kennen weltweit agierende Unternehmen wie "Bayer Chemicals" oder die Lebensmittelriesen "Nestlé" und "Unilever" längst. Die Firmen unterziehen ihre Produkte deshalb der Prüfung durch einen der beiden Halal-Zertifizierer in Deutschland, "m-haditec GmbH & Co.KG" und "Halal Control". Teilweise werden ganze Produktionsweisen und Rezepturen umgestellt. Nötig wird das, wenn Wein und Traubensaft in der gleichen Anlage abgefüllt werden, oder um in Deutschland produzierte alkoholhaltige Medikamente auch in Iran auf den Markt zu bringen. Die Zertifizierer sehen ihr Geschäft im Aufwind: "Unser Zuwachs an Anfragen aus der Lebensmittelindustrie bewegt sich seit 2001 durchschnittlich bei 32 Prozent", sagt Diplom-Ingenieur Mahmoud M. Tatari, Geschäftsführer von "Halal Control". Allein in diesem Jahr erreichten bereits 160 Anfragen die europaweit tätigen Zertifizierer. Auch die Konkurrenz blickt optimistisch in die Zukunft. Die größer werdende Zahl gebildeter Muslime, die sich im Koran und in der Scharia auskennen, mache sich zunehmend Gedanken über Zutaten und Inhaltsstoffe des Essens, so Yavuz Özoguz, Mitgeschäftsführer und Zertifizierer von "m-haditec".
Erst vor wenigen Wochen kam die erste Halal-Gelatine in deutsche Regale. Trotzdem kleben die schlichten Siegel mit den arabischen Schriftzeichen hauptsächlich an Lieferungen für den asiatischen oder arabischen Markt. Teilweise aus Angst - meint zumindest Özoguz: "Die Firmen fürchten, ihre nichtmuslimische Kundschaft mit dem Zertifikat abzuschrecken." Auch sein Kollege Tatari glaubt, dass die Unternehmer die Bedeutung des Halal-Marktes für die Bundesrepublik noch nicht realisiert haben. Dabei ist die Nachfrage nach halal geschlachtetem Fleisch groß. Mit vier Milliarden Euro beziffert "Halal Control" den Umsatz in Deutschland, allein halales Dönerfleisch macht 2,8 Milliarden davon aus. Doch Schächten im großen Maßstab ist nach wie vor verboten. Das Bundesverfassungsgericht hat 2002 das generelle Verbot bestätigt, trotz der Ausnahmegenehmigung für den muslimischen Metzger. In den Niederlanden, Dänemark und Polen darf dagegen nach den Halal-Vorschriften geschlachtet werden. Eine absurde Situation, wie Yavuz Özoguz findet: "Transporte lebendiger Tiere rollen massenhaft zum Schlachten in unsere Nachbarländer - alles im Namen des Tierschutzes."