Terror
Die Täter kommen aus der Mitte der Gesellschaft
Es ist eine Szene aus dem Protokoll der Terrorfahnder: Zwei junge Terrorverdächtige stehen mitten im Gang eines Baumarkts und stemmen Gasflaschen in die Höhe. Dabei bedrohen und verhöhnen sie den Staatsschutzbeamten, der sie beobachtet. Ihre Entschlossenheit und ihre Verachtung für die staatliche Ordnung schockierte die Fahnder, die den Mitgliedern der mutmaßlichen Terrorzelle über Monate auf den Fersen waren. Am 4. September 2007 verhafteten die Ermittler in Oberschledorn im Sauerland die jungen Muslime beim Mischen von Sprengstoff. Zwei der Männer sind Konvertiten, Deutsche, die zum Islam übergetreten sind. Die drei Festgenommenen und sieben weitere Mitwisser sollen Schreckliches geplant haben - mehrere Bomben mit der Sprengkraft von insgesamt 550 Kilogramm TNT wollten sie einsetzen, verteilt auf zwei bis drei PKW, platziert vor Diskotheken, Cafés und amerikanischen Militäreinrichtungen in Deutschland. Zum Vergleich: Bei den Anschlägen von Madrid im März 2004 explodierten zwölf Sprengsätze mit je fünf Kilogramm - 191 Menschen wurden getötet.
Die Gruppe um Fritz G. aus Ulm, Daniel S. aus Saarbrücken und Adem Y. aus Langen steht exemplarisch für die Art der Bedrohung, mit der es Deutschland jetzt zu tun hat - Terrorverdächtige mit deutscher Staatsbürgerschaft mitten aus der Bevölkerung. Frustration und Ärger über persönliche Enttäuschungen haben in der Kombination mit Wut über vermeintliche Ungerechtigkeiten in der deutschen Gesellschaft und in der ganzen Welt bei ihnen zu Hass, Demokratiefeindlichkeit und brutaler Gewaltbereitschaft geführt.
Fritz G. wurde im Multikulturhaus in Neu-Ulm radikalisiert. Jahrelang wurden dort Verschwörungstheorien gepflegt. Man sah sich verfolgt durch die Behörden. Die hielten Moschee und Begegnungszentrum für eine Brutstätte des Extremismus, weil dort Schriften verbreitet wurden, nach denen Demokratie eine Sünde ist und Gewalt eine Glaubenspflicht. In einem der Pamphlete, das den Titel "Die 50 Verderbnisse der Demokratie" trägt, hieß es: "Das Betreiben von Demokratie gilt als Gehorsam für die Ungläubigen, die Juden und die Christen. Dies ist im Islam verboten." In der "Glaubenslehre der sunnitischen Gemeinschaft" steht: "Wer auch immer die Annehmbarkeit bei Allah irgendeiner heute existierenden Religion - eine andere als der Islam - wie zum Beispiel das Judentum, Christentum behauptet, (ist) ein Ungläubiger. Er sollte aufgefordert werden zu bereuen; tut er dies nicht, muss er als Abtrünniger hingerichtet werden, weil er den Qur?an verleugnet."
Von solchen Gedanken, so glauben die Ermittler, ließ sich Fritz G. anstecken. Er selbst fühlte sich nicht von Hass getrieben, sondern von seinem Drang zur Solidarisierung mit Unterdrückten in aller Welt. Auch er sah sich schließlich als Opfer. Der Deutsche litt unter der Scheidung seiner Eltern, suchte Zuflucht im Islam.
Die Geschichte von Daniel S. aus Saarbrücken gleicht der von Fritz G. Den ewigen Streit in seiner Familie tauschte er gegen die Geborgenheit in einer Clique junger Muslime. Am Ende war er bereit zum Selbstmordanschlag. Als US-Soldaten im Frühjahr 2003 in den Irak einmarschierten, trat Daniel S. zum Islam über. Der damals 17-Jährige wurde allerdings nicht nur Muslim, sondern gleich Islamist. Er hatte einen politischen Sinn in seinem Leben und in seinem Glauben gefunden. Die Ermittler sind überzeugt, dass sich Daniel S. dann bei einem Sprachstudium in Ägypten weiter radikalisierte und schließlich in ein Trainingslager der Islamischen Jihad Union (IJU) nach Pakistan ging. Dort sollen er, Fritz G. und weitere junge Muslime aus Deutschland eine Kampfausbildung erhalten haben, bevor sie von einem hochrangigen Mitglied der IJU, dem Usbeken Gofir Salimov, mit einem Terrorauftrag zurück in die Heimat geschickt wurden.
In Deutschland gibt es nach den Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz zwar offiziell weniger als einhundert so genannte "Gefährder" - Personen, die Kontakte zu Terrororganisationen pflegen, eine terroristische Ausbildung durchlaufen oder am Dschihad in Bosnien, Afghanistan oder Irak teilgenommen haben. Tatsächlich aber liegt ihre Zahl deutlich höher, denn in den vergangenen Monaten wurden eine Reihe von Gefährdern wieder aus der Kategorie herausgenommen, da die aufwändigen Überwachungsmaßnahmen personell und finanziell nicht mehr tragbar waren. Die Gefährder sind eingebettet in eine Szene von mehr als 32.000 islamischen Extremisten, organisiert in 28 Gruppierungen. Auch unter diesen sinkt die Hemmschwelle zur Ausübung von Gewalt, und zwar in dem Maße, wie der Terrorismus der Al-Qaida als legitime Selbstverteidigung angesehen wird, zum Beispiel gegen israelische Soldaten in Palästina, russische Soldaten in Tschetschenien und amerikanische Soldaten im Irak.
Bei ihren Ermittlungen stoßen die Sicherheitsbehörden immer wieder auf Hinweise, dass auch weiterhin Vorbereitungen für Anschläge innerhalb Deutschlands laufen. Neben 40 Verdächtigen im In- und Ausland, die im Zusammenhang mit den Plänen der mutmaßlichen Terrorzelle um Fritz G. weiter im Visier der Fahnder sind, beobachten sie vier bis fünf verdächtige Szenarien oder Gruppen, die zu einer ernsthaften Bedrohung für die deutsche Bevölkerung werden könnten. Dabei sind Bundes- und Landesbehörden in einem Dilemma: Entscheiden sie sich zu früh für einen Zugriff, könnte es sein, dass die Beweise nicht für ein längeres Festhalten, geschweige denn eine Verurteilung der Verdächtigen reichen. Warten sie zu lange, riskieren sie, dass die Verdächtigen den Anschlag ausführen, bevor die Polizei es verhindern kann.
Im jüngsten Fall waren 300 Ermittler über neun Monate im Einsatz, um die Terroristen im richtigen Moment zu verhaften. Was sie am 4. September 2007 in der Bombenküche im Sauerland fanden, dürfte vor Gericht reichen - Chemikalien, Zünder und Anleitungen zum Bombenbau.
Die Entschlossenheit der Täter einer neuen Generation hat die Fahnder schockiert. Fritz G., Daniel S. und Adem Y. trieben ihre Planungen weiter voran, obwohl sie wussten, dass sie unter Beobachtung standen. Sie fühlten sich der Staatsmacht überlegen, verabscheuten die demokratische Gesellschaft. Hier liegt die vielleicht wichtigste Lehre aus den Ereignissen der vergangenen Monate: Dem Extremismus in Deutschland den fruchtbaren Boden abzugraben, zu verhindern, dass junge Menschen zu Fanatikern werden, ist mindestens genauso wichtig wie gute Polizeiarbeit.
Dafür müssen auch friedliche Wege aufgezeigt werden, um tatsächlich vorhandene politische, wirtschaftliche und soziale Ungerechtigkeiten in der deutschen Gesellschaft und in der Welt zu bekämpfen.