VON CLAUDIA HEINE
Wird Europa islamisch unterwandert? Droht eine "Islamisierung" Europas? Seitdem auch in Großbritannien und Spanien Bomben fanatischer Islamisten Menschen in den Tod rissen, verstummen diese Fragen nicht mehr. Sie entwerfen ein Bedrohungsszenario vom Untergang des Abendlandes, in dem all die Errungenschaften der europäischen Aufklärung gleich mit versinken. Doch bei aller Notwendigkeit, die Werte der Aufklärung gegen religiösen Fanatismus zu verteidigen: Eine solche Angst ist unbegründet.
Angst vor dem Islam ist zwar keine moderne Erfindung aber dennoch gab es Jahrhunderte, in denen die Berührungsängste zwischen christlicher und islamischer Welt sehr klein waren. Die geistigen Entwicklungen im Europa des Mittelalters sind ohne die Einflüsse der islamischen Zivilisation nicht zu denken. Noch 1587 errichtete König Heinrich III. von Frankreich einen Lehrstuhl für die arabische Sprache am Collège Royal, um die medizinische Forschung in Frankreich voranzubringen.
Und heute? Nachdem sie sich Jahrzehnte gar nicht mit ihnen befasst hat, stellt die deutsche Gesellschaft erstaunt fest, dass der Islam mittlerweile die drittgrößte Religionsgemeinschaft geworden ist. Und auch die Muslime merken, dass ihr Nischendasein nicht von Dauer sein kann. Dass die Annäherungsversuche der vergangenen Jahre nun ausgerechnet unter dem Eindruck islamistisch motivierter Terroranschläge beginnen, macht die Sache nicht einfacher. Aber sie macht sie umso notwendiger.
Der Dialog zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen, der mit der Gründung der Islamkonferenz durch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble im Jahr 2006 institutionalisiert wurde, ist noch von vielen Vorstellungen geprägt, die die jeweils andere Seite als Stereotype zurückweist. Oft zu Recht. Der Schriftsteller Navid Kermani etwa sagt, er würde eine "Identitätskrise" kriegen, wenn er "nur eine" Identität hätte (Seite 2). In der Debatte aber wird die Verwurzelung in verschiedenen Kulturen als Ursache vieler Probleme gesehen, mit denen Migranten und ihre Nachkommen im Alltag zu kämpfen haben.
Diesen Alltag in seinen verschiedenen Facetten zu beleuchten, ist Ziel dieser Themenausgabe. Da geht es nicht nur um Religionsausübung und die Schaffung eines muslimischen Dachverbandes (Seite 4). Wie können Muslime eine moderne islamische Religionsgemeinschaft in Deutschland begründen, fragt sich Aiman A. Mazyek, der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland (Seite 5). Eine Frage, die die Gründer des Zentralrats der Ex-Muslime sich so nicht stellen würden, denn sie halten den Islam für nicht reformierbar (Seite 14). Beschrieben werden Beispiele gelungener Integration in die Arbeitswelt (Seite 8), und gefragt wird danach, warum es Kinder mit Migrationshintergrund so schwer haben, auf das Gymnasium zu kommen (Seite 12).
Sichtbar wird, dass die Religion als Begründung für Erfolge und Misserfolge sehr oft nicht taugt.