GRUNDRECHTE-CHARTA
54 Artikel für die Bürgerrechte
Was eine würdevolle Zeremonie werden sollte, artete ins Chaos aus. Während Europaparlaments-Präsident Hans-Gert Pöttering (EVP) die Charta der Grundrechte als "Herzstück unseres europäischen Selbstverständnisses" würdigte, verlangten europakritische Abgeordnete transparente-schwenkend nach einer Volksabstimmung über den neuen EU-Reformvertrag. Auch als nach der Unterzeichnung des Rechte-Abkommens am 12. Dezember die europäische Hymne erklang, buhten, pfiffen und trampelten im Straßburger Europaparlament vor allem britische und polnische Abgeordnete.
Die Charta schreibt in 54 Artikeln die Grundrechte der europäischen Bürger fest. Über die nationalen Rechtekataloge hinausgehend sichert die europäische Version nicht nur die klassischen Rechte auf Leben, Gewissens-, Religions- und Meinungsfreiheit zu, sondern garantiert auch faire Arbeitsbedingungen, Umweltschutz, den Zugang zu Bildung und öffentliche Dienstleis-
tungen, das Recht auf Datenschutz sowie ein Verbot des reproduktiven Klonens. Tritt die Charta wie geplant 2009 in Kraft, können Bürger am Europäischen Gerichtshof klagen, sofern sie ihre Rechte durch EU-Regelungen verletzt sehen. Rein nationale Gesetze sollen durch die Charta nicht angefochten werden können.
Pöttering betonte in seiner Rede die historische Bedeutung der Charta. Sie symbolisiere den bedeutenden Weg hin zu einer Gemeinschaft der Bürger, den die EU seit ihrer Gründung vor 50 Jahren zurückgelegt habe. "Die Achtung der Würde jedes einzelnen Menschen, die Bewahrung der erworbenen Freiheit, des Friedens und der Demokratie, die Geltung des Rechts, sind für uns auch heute Antriebskraft der europäischen Einigung", sagte Pöttering. In den zähen Verhandlungen über den neuen EU-Grundlagenvertrag war die Grundrechte-Charta ein heikles Thema. Daher ist sie nun nicht mehr Bestandteil des gesamten Vertrages, sondern dieser verweist nur noch auf sie. Das garantiert der Charta Rechtsverbindlichkeit, lässt sich politisch aber einfacher verkaufen. Die Regierungen in London und Warschau hatten in den heftigen Diskussionen durchgesetzt, dass die Grundrechtecharta für die Gerichte in ihren Ländern nicht gilt. Für die anderen EU-Länder wird sie bindend, sobald der neue EU-Grundlagenvertrag wie geplant 2009 von allen 27 Mitgliedstaaten ratifiziert worden ist. Die inzwischen abgewählte konservative Regierung in Polen hatte für sich eine Ausnahmeregelung durchgesetzt. Die jetztige Regierung würde dies zwar gerne zurücknehmen, ist aber bei der Ratifizierung des EU-Reformvertrags auf die Stimmen ihrer Vorgänger angewiesen.