IRDISCHE HINTERLASSENSCHAFT
Schrott könnte Kollisionen mit Raumfahrzeugen verursachen
Nach nunmehr 50 Jahren Raumfahrtgeschichte und etwa 5.000 Satellitenstarts haben sich in der Erdumlaufbahn viele Trümmerstücke angesammelt - zerbrochene Nutzlasten, deren einstige Abdeckungen, die Reste explodierter Raketenstufen und vieles mehr. Diese "Müllstraße" in der Erdumlaufbahn hat inzwischen bedrohliche Ausmaße angenommen, weil neue, gut funktionierende Satelliten mit einem gefährlichen Trümmerstück zusammenstoßen könnten - mit Millionenverlusten für die Betreiber. Sogar die Internationale Raumstation ISS musste bereits zweimal ihren Kurs geringfügig ändern, um größeren Schrottfragmenten in der Umlaufbahn auszuweichen.
Gerade bei bemannten Raumfahrtsystemen kann die Kollision schon mit kleinen Partikeln eine verheerende Wirkungen haben bei Auftreff-Geschwindigkeiten von 10 bis 20 Kilometern pro Sekunde oder schneller. "Selbst ganz kleine Teilchen von nur einem Millimeter Durchmesser können die Wand eines Raumstations-Moduls trotz aller Panzerung durchschlagen und große Zerstörungen anrichten, ja sogar Astronauten gefährden", warnt Professor Werner Flury, lange Zeit der führende deutsche Experte für Weltraum-Trümmer.
Vor allem die Erdumlaufbahn in 600 bis 1.200 Kilometer Entfernung ist angefüllt mit Trümmern. Vorwiegend russische und chinesische Raketen-Oberstufen explodieren gelegentlich nach ihrem eigentlichen Flugauftrag, weil sie kein Ventil zum Ablassen des restlichen Treibstoffs haben. Dieser erhitzt sich durch die Sonnenbestrahlung, vergrößert sein Volumen und sprengt so die Tankhülle. Selbst wenn ab sofort nur noch "saubere" Raketenstufen starteten, würde es Jahrzehnte dauern, bis der Raum um die Erde wieder halbwegs frei ist von gefährlichem Schrott.
Hinzu kommt Raumfahrt-Vandalismus, wie ihn die Chinesen kürzlich begangen haben: Sie schossen einen eigenen Satelliten in 800 Kilometern Höhe mit einer Abfangrakete ab. Dieser zerbarst in Tausende Einzelteile, die nun die eigenen Raumfahrttechniker und die aller anderen Raumfahrtnationen vor ernsthafte Probleme stellen.
Die amerikanischen Überwachungs-Radargeräte und Fotokameras verfolgen momentan etwa 10.000 Müll-Objekte von mindestens 10 Zentimetern Größe im erdnahen Weltraum, laufend werden die elektronischen Listen mit dem Auftauchen neuer Bruchstücke im Orbit aktualisiert. Dazu kommen noch etwa 150.000 Objekte in der Kategorie zwischen einem und zehn Zentimetern. Ständig prüfen leistungsstarke, schnelle Computer, ob die bekannten größeren Trümmerstücke alte und neue Satelliten sowie natürlich vor allem die bemannten Systeme wie die Internationale Raumstation, das US-Shuttle oder eine russische Sojus-Kapsel gefährden könnten.
Auch die so genannte geostationäre Umlaufbahn in 36.000 Kilometern Entfernung zur Erde, wo die großen teuren Nachrichtensatelliten "verankert" werden, wird ständig genau beobachtet. "Um diese Umlaufbahn möglichst frei zu halten, werden alte ausgediente Satelliten mit dem letzten Treibstoff-Rest in einen so genannten ,Friedhofs'-Orbit in einigen Hundert Kilometern Entfernung bugsiert", erläutert Niklas Johnson, ein renommierter amerikanischer Experte für diesen zunehmend wichtigen Raumfahrt-Spezialbereich des "space debris", wie die Amerikaner den Weltraumschrott nennen.
Insgesamt kreisen momentan etwa 3.500 Tonnen "hausgemachter" Weltraumschrott in verschiedenen Distanzen um die Erde. Jährlich kommen etwa fünf Prozent hinzu. In den nächsten Jahren wird nach statistischen Berechnungen die erste Kollision eines funktionierenden Satelliten oder sogar einer bemannten Raumkapsel mit einem Trümmerteil erwartet. Dabei entstehen - neben dem beträchtlichen finanziellen Schaden für den Betreiber des getroffenen Satelliten - wieder viele Hunderte neuer Bruchstücke in dem betreffenden Erdorbit. Die Situation für nachfolgende Weltraumstarts wird so weiter erschwert.
Auch wenn in den vergangenen Jahren bereits viele Trümmerstücke in der Erdatmosphäre verglüht sind: Etwa die Hälfte der Partikel wird für die nächsten Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende in der Umlaufbahn bleiben und aktuelle sowie künftige Satelliten-Missionen gefährden. Deshalb gibt es inzwischen Überlegungen, wenigstens die größeren Objekte in der Umlaufbahn mit einer Art Laser-Kanone, wie sie etwa während des Kalten Krieges für das Abfangen feindlicher Raketen von den Amerikanern konzipiert worden ist, aktiv zu vernichten
Eine solche Hochenergieanlage müsste aber von einem Satelliten aus eingesetzt werden, weil die Laserstrahlen sonst von der Erdatmosphäre "verschluckt" würden. Nur: Ein solcher Laser-Satellit ist groß und teuer, er sollte auch eine gewisse Bahnänderungskapazität haben, was einen enormen Treibstoffvorrat voraussetzt.
Der "Killer"-Satellit braucht für den effektiven Einsatz zudem mehrere Sensoren, welche die Raketen-Trümmer bereits in großer Distanz aufspüren und dann dem Steuerungscomputer die genauen Zielkoordinaten weitergeben. Ein solches besonders leistungsfähiges Sensor-"Auge" wird gerade von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig und von der Firma "etamax space GmbH" entwickelt. Es arbeitet mit zwei dicht hintereinander liegenden Licht-Vorhängen, die hindurchfliegende Partikel als Streulicht-Blitze registrieren können. Daraus lassen sich mit einigem Rechenaufwand die Umlaufbahnen solcher Teilchen sowie ihre Geschwindigkeit und Flugrichtung errechnen.
Doch bei entsprechenden Projekten handelt es sich letztlich um kühne Zukunftsvisionen, sie wurden bisher meist von Industriezentren gesponsert. Fakt ist: Ein Raumschrott-Abfangsatellit kostet Milliarden von Dollar, die letztlich niemand aufbringen will und kann.
Wichtiger Treffpunkt der Experten für Weltraum-Schrott ist die alle drei Jahre in Darmstadt beim Europäischen Zentrum für Satelliten-Operationen abgehaltene "European Conference on Space Debris" (ESOC) wo aktuelle Entwicklungen in diesem Bereich diskutiert werden. Darüber, wie in der Zukunft mit dem Problem Weltraumschrott umgegangen werden soll, ist allerdings auch dort noch keine weltweite Einigung erzielt worden.