GALILEO
Mit ihrem Satelliten-Navigationssystem wollen sich die Europäer von den USA unabhängig machen. Jetzt hat Brüssel seinen Segen gegeben.
Die Technik erscheint nicht allzu kompliziert. Man schießt 24 Satelliten ins All, die alle mit präzise laufenden Atomuhren bestückt sind. Jeder dieser Satelliten sendet permanent Signale Richtung Erde. Ein Empfangsgerät, etwa in einem Pkw, kann aus den Laufzeitunterschieden der Signale die eigene Position auf der Erdkugel berechnen - und zwar auf wenige Meter genau. "Global Positioning System" oder kurz GPS heißt die Satellitennavigation, die schon seit Jahren in Schiffen, Autos und Flugzeugen zum Einsatz kommt. Selbst Wanderer und manche Radfahrer greifen zum GPS-Gerät im Handy-Format. Einsteigergeräte kosten kaum mehr als 120 Euro.
Das im Prinzip gut funktionierende "Global Positioning System" hat aus Sicht der Europäer nur einen Schönheitsfehler: Die Satelliten werden vom US-Militär betrieben und es gibt keine Garantie dafür, dass die Signale nicht eines Tages manipuliert werden. Im Krisenfall etwa, falls US-Kampfjets gerade Angriffe fliegen, könnte das zivile, für jedermann frei empfangbare GPS abgeschaltet oder bewusst verfälscht werden.
Angesichts dessen lag die Idee eines europäischen Satellitennavigationssystems nahe. "Galileo" heißt das 2003 von der EU beschlossene Projekt - ein "für die Unabhängigkeit Europas enorm wichtiges strategisches Programm", wie es bei der EU-Kommission heißt. Der Vize-Präsident der Kommission, Jacques Barrot, erklärte unmissverständlich: "Ich bin überzeugt, dass Europa 'Galileo' braucht."
Aber kann "Galileo" tatsächlich all das bringen, was EU-Strategen immer wieder vorrechnen? Hunderttausende neue Arbeitsplätze sollen entstehen, mehrere Milliarden Euro zusätzlicher Umsatz - Wunschträume?
Als Garant für den Erfolg "Galileos" wird immer wieder die im Vergleich zu GPS deutlich höhere Genauigkeit genannt. "Mit 'Galileo' wird man Anwendungen realisieren, die mit GPS nicht möglich sind", sagt Hubert Reile, zuständiger Direktor für "Galileo" beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Man könne etwa die Position eines Schiffes im Hafen auf wenige Zentimeter genau bestimmen und so navigieren. Für eine solche Anwendung müsse das Signal jedoch verbessert werden - über zusätzliche Messungen an Orten, deren Position bekannt ist.
Ein großes Potenzial sieht der DLR-Experte für die Autoindustrie. "Heutige Navigationsgeräte sind eher wie ein Beifahrer. Galileo wird man eines Tages ans Steuer lassen können." Ein Vorteil gegenüber GPS sei zudem die Möglichkeit zur Integration eines Notrufsystems. In Not geratene Schiffe könnten ihre exakte Position direkt an Satelliten funken.
Für mindestens ebenso wichtig halten Experten wie Gerhard Bernot jedoch die Unabhängigkeit und Zuverlässigkeit von GPS. "Für Unternehmer ist das garantierte Signal von 'Galileo' das entscheidende Kriterium, um zuverlässige und sicherheitskritische Anwendungen erstellen und vermarkten zu können", sagte er. Bernot hat in Konstanz eine Firma, die neue Anwendungen für die Satellitennavigation entwickelt. An Ideen dafür mangelt es nicht. Beim Wettbewerb Galileo Masters werden jedes Jahr die besten Konzepte ausgezeichnet. Vollautomatische Hochwasserwarnung, intelligente Pakete und Fahrerassistenzsysteme, die Unfälle verhindern können - die Liste ist lang.
Auch europäische Hightech-Unternehmen wie die Deutsche Telekom und EADS, die "Galileo" nach ursprünglicher Planung eigentlich bis 2008 aufbauen wollten, haben die Zukunft des Systems in den schönsten Farben ausgemalt. Nur wollten sie dafür nicht bezahlen, sie stiegen Anfang 2007 aus der Finanzierung aus. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie, Thomas Enders, beklagte die fehlende Absicherung der Geschäftsrisiken durch die EU und verlangte stattdessen eine komplette Finanzierung des "Galileo"-Aufbaus mit Steuermitteln. Enders wurde erhört: Die EU-Verkehrsminister und die EU-Kommission beschlossen Ende 2007 jene 2,4 Milliarden Euro, die ursprünglich das Konsortium privater Unternehmen aufbringen wollte, über Mittel aus dem Agrarhaushalt zu finanzieren. Insgesamt soll "Galileo" 3,4 Milliarden Euro kosten. "Dankt den Kühen für Europas Satellitennavigation", spottete das Wissenschaftsmagazin "New Scientist". Und auch wenn die Finanzierung zu stehen scheint - um die Verteilung der lukrativen Aufträge, die jedes einzelne EU-Mitglied natürlich am liebsten an Firmen aus dem eigenen Land vergeben sähe, könnte es weiter Streit geben.
Schon jetzt aber hat die Diskussion um die Finanzierung das Projekt "Galileo" um mehrere Jahre zurückgeworfen. Ein Start des Systems vor 2012 ist wenig wahrscheinlich, ursprünglich war 2008 geplant. Diese Verzögerung könnte zu einem großen Problem werden. Denn nicht nur die Europäer planen eine eigene Satellitennavigation. Auch China und Indien haben entsprechende Ambitionen.
Die größte Konkurrenz kommt jedoch wohl aus Russland. "Glonass" heißt das 1993 offiziell gestartete System, das wie GPS militärische Wurzeln hat. Doch "Glonass" funktioniert nur eingeschränkt, weil bislang nicht genügend Satelliten gleichzeitig aktiv sind. Jetzt aber arbeitet Russland mit Hochdruck am Ausbau des Systems. Die Investitionen wurden deutlich erhöht. Bis Ende 2009 sollen nach derzeitiger Planung 24 Satelliten im All sein - das wären genug, um den ganzen Erdball abzudecken.
Russland ist drauf und dran, den Europäern die Show zu stehlen. Und doch betrachtet Bundeskanzlerin Angela Merkel "Glonass" nicht als Konkurrenz. "Ich sehe auch gute Möglihkeiten in der Kooperation mit dem System ,Galileo'", sagte sie. Europa und Russland könnten bei der Forschung zur Satellitennavigation zusammenarbeiten, erklärte die Bundeskanzlerin beim Russland-EU-Gipfel im Mai 2007 in Samara. Eine Zusammenarbeit liegt übrigens auch im russischen Interesse. Je mehr Satelliten im All kreisen, umso mehr Signale kann jedes einzelne Navigationsgerät auf der Erde zugleich empfangen - und umso besser gelingt eine Positionsbestimmung auch in engen Straßenschluchten oder unter großen Bäumen.
Damit das gelingt, müssten die Empfangsgeräte natürlich "Galileo"- und "Glonass"-Satelliten parallel nutzen können, und natürlich GPS. Technisch ist das kaum ein Problem, künftige GPS-Empfänger könnten per Software-Update "Glonass"- und "Galileo"-tauglich gemacht werden. Und trotzdem schließen Experten ein Verschmelzen von "Galileo" und "Glonass" aus: Schon aus militärischen Gründen erscheint das kaum denkbar, schließlich setzen sowohl Russland als auch Europa auf eigene Systeme, um unabhängig vom amerikanischen GPS zu sein. Und sowohl "Glonass" als auch "Galileo" sollen gleichzeitig unverschlüsselte, zivil nutzbare Signale und verschlüsselte, ausschließlich für das Militär gedachte Signale senden.
In der noch jungen Navigationsbranche sorgt man sich weiter um "Galileo". "Unser Problem zu Anfang und auch jetzt liegt in der Kleinstaaterei der EU", erklärte Anton Mayer von der Firma Gigatag aus Oberpfaffenhofen, der "Galileo" in der Holzverarbeitung nutzen möchte.
Die Zeit läuft davon, Investoren könnten auf die russische, chinesische oder indische GPS-Alternative setzen, fürchten viele. Für den Konstanzer Unternehmer Gerhard Bernot ist völlig klar, dass der Staat in der Pflicht steht: ",Galileo' ist eine Infrastrukturaufgabe wie der Straßenbau". Im 19. Jahrhundert hätten Kommunen auch den Aufbau einer Wasser- und Energieversorgung übernommen. "Es ist die Pflicht der Volkswirtschaften, entsprechende Infrastruktur bereitzustellen."
Der Autor ist Redakteur im Ressort Wissen-schaft und Netzwelt von "Spiegel Online".