WETTKAMPF
Immer mehr Nationen haben eigene Raumfahrtprogramme. Besonders China hat große Pläne.
Es war eine der größten Sensationen des vergangenen Jahrhunderts - wenn nicht sogar die größte. Die Welt hielt den Atem an, als am 20. Juli 1969 mit Neil Armstrong und Edwin Aldrin erstmals in der Geschichte der Menschheit zwei Erdenbewohner einen fremden Himmelskörper betraten. Mit der Landung der beiden Astronauten im "lunaren mare tranquilitatis", dem Meer der Ruhe, einer Hochebene, nicht weit vom Mondäquator, ging damals das wohl längste Wettrennen aller Zeiten zu Ende, das amerikanisch-sowjetische Rennen zum Mond.
Inzwischen sind aus den erbitterten Weltraumkonkurrenten Kooperationspartner geworden. Amerikaner und Russen legten ihre Raumstationsvorhaben zusammen. Mit 14 weiteren Partnern wurde der Bau der Internationalen Raumstation ISS (International Space Station) begonnen. Darüber hinaus legten die Vereinigten Staaten ein neues Programm für die Rückkehr zum Mond auf. Bis 2020 hofft man, dort erneut Astronauten abzusetzen. Für spätere Dekaden wird der bemannte Vorstoß zum Mars avisiert.
Doch während die Luft aus dem Weltraumwettkampf der beiden Supermächte nach der Mondlandung heraus war, fingen andere Nationen an, eigene Weltraumprogramme aufzubauen. Frankreich und England entwickelten eigene, kleinere Raketen. Deutschland, dem man in den 60er-Jahren den Bau eigener Satelliten-Trägerraketen noch nicht zubilligte, versuchte sich an Satelliten. Bald jedoch erkannte man in Paris und London, dass Entwicklung und Bau großer Startraketen im nationalen Rahmen ein zu teures Vergnügen seien. Man entschloss sich zum Bau der so genannten Europa-Rakete, zu der England die erste, Frankreich die zweite und Deutschland die dritte Stufe lieferten. Aus dieser Initiative entwickelte sich dann in den 70er-Jahren die Ariane-Rakete.
Sie wurde schnell zur weltweit erfolgreichsten schweren Trägerrakete zum Transport kommerzieller Satelliten auf die geostationäre Umlaufbahn in 36.000 Kilometer Höhe - eine Position, die sie bis heute erfolgreich verteidigt hat. Gleichzeitig eroberten die Europäer mit ihrer Raumfahrtorganisation ESA auch beim Bau von wissenschaftlichen und Anwendungssatelliten sowie Raumsonden eine Spitzenstellung.
Die Nächsten, die nach den europäischen Nationen im Raumfahrt-Geschehen auf sich aufmerksam machten, waren China, Japan und in jüngster Zeit auch Indien. Dabei hat sich China inzwischen weltweit als dritte Weltraummacht hinter Amerikanern und Russen - und noch vor den Europäern - etabliert. Drei chinesische Astronauten, so genannte "Taikonauten", (abgeleitet von "Taikong", chines. Weltraum) waren mittlerweile bereits im Orbit.
Dazu kommt, dass Peking eine ganze Raketenfamilie unterschiedlicher Schubstärken entwickelt hat. Die Raketen wurden nach dem berühmten "Langen Marsch" benannt, den Mao Tse-Tung mit seinen Soldaten im chinesischen Bürgerkrieg 1934/35 absolvierte. Diese Geschosse haben inzwischen annähernd 100 Satelliten aller Art ins All befördert. Der Mann allerdings, der mit seinen Truppen den "Langen Marsch" absolviert hat, hielt zu seinen Lebzeiten nicht viel von Chinas Raumfahrtbemühungen. Das Reich der Mitte könne "nicht einmal eine Kartoffel ins All befördern", beklagte Mao, der 1976 in Peking verstarb.
Unterdessen verkürzt China den Abstand zu den führenden beiden Weltraummächten weiter. Eine erste chinesische Raumsonde "Chayng'e-1" hat den Mond erreicht, benannt nach der "Frau im Mond" aus einer chinesischen Legende. "Das Mondforschungsprogramm ist nach den Satellitenstarts und den bemannten Flügen der dritte Meilenstein bei der Entwicklung unserer Raumfahrttechnologie", ließ jetzt der Chef der chinesischen Raumfahrtbehörde, Sun Laiyan, wissen. Wohin dieses Programm führen soll, hat derweil Huang Chunping, Chef des bemannten chinesischen Raumflugprogramms, deutlich gemacht. "Das Ziel, mit Astronauten auf dem Mond zu landen, kann sicher innerhalb der nächsten 15 Jahre erreicht werden", meinte er. Und die in Peking erscheinende "China Daily" meldete dieser Tage, dass Peking etwa im Jahre 2020 eine eigene, 20 Tonnen schwere Raumstation im All etablieren wird - auch wenn das bislang nicht offiziell bestätigt wurde. Eine Rakete, die 20 Tonnen auf eine niedrige Erdumlaufbahn schaffen kann, ist allerdings bereits in Entwicklung.
Um Geld und Geltung geht es derweil auch Tokio und Neu Delhi im Weltraum. Sie haben sich jetzt mit den Chinesen so etwas wie einen eigenen asiatischen Mond-Wettlauf geliefert. Japan hat China allerdings in diesem Rennen bereits den Schneid abgekauft. Denn schon einige Wochen vor der chinesischen Mondsonde starteten die Japaner am 14. September 2007 die, wie die "Japan Times" formulierte, "umfangreichste Mondmission seit dem Ende der amerikanischen Apollo-Mondflüge vor nunmehr 36 Jahren".
Tatsächlich war Japan bis zu den chinesischen Taikonauten-Starts die führende Weltraummacht Asiens. Japanische Großraketen bewerben sich heute genauso wie europäische, amerikanische, russische und chinesische Raketen auf dem internationalen Markt um die lukrativen Starts kommerzieller Satelliten. Auch ist Japan und nicht etwa Europa der größte westliche Partner der USA beim Bau der Internationalen Raumstation ISS.
Unterdessen bereitet auch Indien den Start seiner ersten Mondsonde "Chandrayaan-1" vor. Sie soll im März oder April 2008 abgefeuert werden. In naher Zukunft soll auch die Entscheidung darüber fallen, wann erstmals indische Astronauten gestartet werden, so Madhavan Nair, Chef der indischen Weltraumbehörde ISRO. Indien könne schon 2014 Menschen auf die Umlaufbahn schicken, sieht er voraus. 2020 wäre dann eine zwei- bis vierwöchige Mission von Astronauten zum Mond möglich. Schon lange verfügt Indien auch über eine schwere Großrakete für Satellitenstarts. Die PSLV (Polar Satellite Launch Vehicle) kann bis zu 1,5 Tonnen schwere Satelliten auf bis zu 600 Kilometer hohe Bahnen katapultieren. Seit 1980 hat Indien etwa 50 Satelliten gestartet, die Hälfte davon auf eigenen Raketen. Derweil wird der weitere Ausbau der indischen Raumfahrtkapazität energisch vorangetrieben. Allein bei der ISRO arbeiten etwa 16.000 Menschen (Nasa: 18.000, ESA: 2.000).
Kein Zweifel also, die drei Giganten Asiens - China, Japan und Indien - lassen in Sachen Raumfahrt Ehrgeiz und hohe Zielstrebigkeit erkennen.
Der Trend ist so auffallend, dass englischsprachige Beobachter ihm sogar schon eine besondere Bezeichnung zuerkannt haben. Es handelt sich bei diesen und vergleichbaren Entwicklungen demnach um "techno-nationalism" - dem sich inzwischen allerdings auch kleinere Nationen verschrieben haben.
So will etwa Süd-Korea auf seiner KSLV-1 (Korea Space Launch Vehicle 1) innerhalb der nächsten Monate einen ersten Satelliten aus eigener Kraft starten; zehn andere koreanische Satelliten gelangten bereits mit ausländischer Hilfe auf die Umlaufbahn. Taiwans Weltraumorganisation NSPO will ebenfalls eine eigene Satellitenstart-Kapazität aufbauen. Auch in Südamerika - vor allem in Argentinien und Brasilien - sind Bestrebungen im Gange, und erste Entwicklungen dieser Art sind inzwischen auch in Afrika zu beobachten.
Kein Zweifel also, die internationale Attraktivität der Raumfahrt wächst in erstaunlichem Maße. Nationales Prestige, militärisches und technologisches Interesse, der Wunsch nach eigenem Zugang zum erdnahen Raum sowie last but not least wissenschaftliche Neugier wirken als Triebfeder dieser internationalen Weltraumoffensive. Die Beteiligten sprechen das auch ganz freimütig aus, so etwa auch der Leiter des Langer Marsch-Raketenprogramms, Huang Chunping. "Wenn man nicht von anderen kontrolliert werden will", zitierte ihn die regierungsnahe "People's Daily" in Peking, "so muss man heute über beträchtliche wissenschaftliche und technologische Raumfahrtkapazitäten verfügen. Sonst läuft man Gefahr, von anderen herumgestoßen zu werden." Der Chef der indischen Weltraumbehörde ISRO Madhavan Nair ist offenbar gleicher Meinung, "Wenn Menschen sich nicht ins All wagen", warnte er jetzt, "so wird die Zukunft trübe sein. Indien kann bei diesem Rennen nicht zurückbleiben. Wir müssen an vorderster Front mit dabei sein."
Der Autor arbeitet als Journalist und hat mehrere Fachbücher zum Thema Raumfahrt verfasst.