ISS
Die internationale Raumstation stellt alles in den Schatten, was Menschen im All bisher geleistet haben
Gerade drei Jahre flogen amerikanische Space Shuttles ins All, als im Januar 1984 US-Präsident Ronald Reagan in seiner Rede zur Lage der Nation ein neues Ziel im All vorgab: Vor beiden Häusern des Kongresses beauftragte er die Raumfahrtagentur NASA, binnen zehn Jahren eine permanent bemannte Station in der Erdumlaufbahn zu entwickeln. Es war ein neuer amerikanischer Traum, zu dem der Präsident aufrief: Einst war es die "New Frontier", die Grenze nach Westen, die es zu verschieben galt; nun sollte der Pionier-Geist nach oben verschoben werden: "Go up" statt "Go West". "Freedom" lautete der ursprüngliche Name der Raumstation, die die NASA dem russischen Frieden, der "Mir"-Station, und dem in den 80er-Jahren noch geplanten Nachfolgemodell "Mir II", entgegenstellen wollte. Doch eine Dekade dauerten allein die ersten Planungen und Kalkulationen. Und so sorgten 1993 Sparzwänge dafür, dass von der kosmischen Freiheit nur eine merklich geschrumpfte Version mit dem Namen "Alpha" übrigblieb, die nur aufgrund internationaler Kooperationsverpflichtungen nicht völlig eingestellt wurde. Dieses Projekt wiederum wurde von der Geschichte unten auf der Erde überrollt: Unter Bill Clinton erhielt die Station mit Russland einen neuen Partner, und mit ISS (International Space Station) einen neuen, wenngleich wenig originellen Namen. Bis heute ist das Weltraumlabor, ausgerüstet mit modernsten Experimentieranlagen für die Forschung in der Schwerelosigkeit, das größte zivile Gemeinschaftsprojekt der Geschichte.
Den Anfang machte ein russisches Modul. Am 20. November 1998 ging das fast 13 Meter lange Kontrollmodul Sarja ("Morgenröte") vom russischen Weltraumbahnhof Baikonur aus auf die Reise zu seinem neuen Bestimmungsort in der Erdumlaufbahn All. Der Multifunktionsblock dient teilweise als Schlepper der gesamten Station, um ihre Position in der Umlaufbahn zu korrigieren. Er verfügt aber auch über eine Druckkabine mit rund 50 Kubikmeter Innenraum, von dem aus der gesamte Orbitalkomplex gesteuert wird. Für dieses Kontrollmodul gilt die Devise "made in Russia", aber "paid by America", denn die NASA hat die Fertigstellung dieses Bauteils finanziert.
Die amerikanischen Raumfähren kamen mit dem zweiten Flug erstmals zum Zuge, im Dezember 1998. "Unity" ist der Name eines kosmischen Knotens, der im wesentlichen ebenfalls eine Druckkabine ist, aber auch - und hier ist der Name "Einheit" Programm - vier Andock-Möglichkeiten für den weiteren Ausbau vorsieht, unter anderem für das amerikanische Labor Destiny ("Schicksal").
Im Oktober 2000 kamen mit dem Amerikaner William Shepherd sowie den beiden Russen Juri Gidsenko und Sergei Krikaljow auch die ersten dauerhaften Besucher. Unter dem Namen "Expedition 1" flog die dreiköpfige Besatzung zum Richtfest in die Umlaufbahn. Der erste Schritt zu einem ständig bemannten Außenposten der Menschheit im All war getan. Seit diesem Start war die ISS ununterbrochen mit zwei oder drei Astronauten und Kosmonauten besetzt. Den bisherigen Rekord für westeuropäische Raumfahrer hält der deutsche Thomas Reiter: Er arbeitete bis Dezember 2006 ganze 166 Tage an Bord der Station.
Die einzelnen Bauteile der ISS haben russische Raketen und amerikanische Space Shuttles ins All gebracht. Dort fügen sie die Raumfahrer in Außenbordeinsätzen zusammen. Inzwischen wird seit fast einem Jahrzehnt an der Baustelle gewerkelt - die ISS wächst zusehends. Am US-Labor ist im Oktober 2007 ein weiterer Knoten ("Harmony") befestigt worden, an dem in Kürze die Labore Japans und Europas andocken können. Neben dem eigentlichen Experimentierlabor Kibo ("Hoffnung") liefert die japanische Weltraumbehörde eine Zentrifuge und eine Beobachtungsplattform, auf der Experimente direkt dem freien Weltraum ausgesetzt sein werden. Anfang 2008 sollen diese Bauteile zu ihrem Ziel ins All geschossen werden.
Endlich ist auch - mit vier Jahren Verspätung und nach über 20 Jahren Entwicklungszeit - das Labor der europäischen Weltraumagentur ESA fertig. "Columbus" ist dem Entdecker der Neuen Welt gewidmet; das Mehrzwecklabor soll voraussichtlich im Januar 2008 mit der US-Raumfähre "Atlantis" zur ISS fliegen, nachdem der Start wegen Problemen an der Tankanzeige zuletzt mehrfach verschoben werden musste.
Auch wenn "Columbus" wesentlich kleiner ist als die Module Japans und der USA: Europas Weltraumtechniker haben die Nutzfläche von "Columbus" ideal konzipiert und auf die Bedingungen der Schwerelosigkeit abgestimmt.
Es bietet Platz für drei Astronauten, die dort gleichzeitig Experimente durchführen können. Sind alle Versuchsregale eingebaut, stehen rund 50 Kubikmeter Innenraum zur Verfügung. Experimentierschränke sind über den Köpfen der Astronauten angebracht genauso wie zu ihren Füßen.
Im schwerelosen Weltraum spielt es keine Rolle, in welcher Position sich der Mensch befindet, da es auch für ihn kein Oben und kein Unten gibt. Gearbeitet wird hemdsärmelig, im blauen Overall. Im "Columbus"-Labor wie in den anderen Modulen der ISS herrschen Druckverhältnisse wie auf der Erde.
Europas Vorposten in der Umlaufbahn ist gleich beim Start mit vier Versuchsschränken ausgestattet. Darunter das "Fluid Science Lab", in dem die Astronauten das Verhalten von Flüssigkeiten unter Schwerelosigkeit untersuchen sollen ebenso wie das "Europan Physiology Module", das der Untersuchung von Knochenschwund, dem Flüssigkeitshaushalt und dem Immunsystem dient. Und auch "Biolab" ist mit an Bord: Im Frühjahr wird es der Raumfahrtkonzern "EADS Astrium" mit ersten Experimenten ausstatten. Geforscht wird an Zellen, kleinen Pflanzen und wirbellosen Tieren.
Die Versuchsanordnung im All wird keine nationalen Ländergrenzen widerspiegeln. So hat Russland zwar kein eigenes Labor, ist aber dennoch nicht auf Hausmeistertätigkeiten beschränkt: Jedes Experiment wird in dem Modul platziert, in dem für den jeweiligen Versuch die beste Infrastruktur vorhanden ist. Der ursprüngliche Verteilungsschlüssel, nach dem die NASA drei Viertel und Europa etwa acht Prozent der Gesamtkosten beigetragen hätte, ist nach Hereinnahme der russischen Partner hinfällig geworden. Heute wird in Naturalien bezahlt.
So stellen die europäischen und japanischen Partner Raketenstarts für den Transport von Nachschub zur Raumstation bereit. Ein Ariane-5-Flug alle 15 Monate mitsamt des neuen Automatischen Transfervehikels (ATV) als Nutzlast soll den Beitrag der ESA abdecken.
Diese staatenübergreifende Kooperation auf der Erde und im All ist möglicherweise der Startschuss zu weiteren gemeinsamen Projekten wie einem bemannten Flug zum Mars. "Die Internationale Raumstation ist heute schon eine Art außerirdische Vereinte Nationen", findet die amerikanische Astronautin Sandra Magnus, die vor fünf Jahren zu Besuch auf der ISS war. Der Aufnahme der Menschheit in eine Art galaktischen Club raumfahrender Zivilisationen stehe somit nichts mehr im Wege - eine Idee, die auch das amerikanische "Institute for Cooperation in Outer Space" (ISCOS) vertritt. "Der Weltraum wird endlich multinational werden", hofft Connie van Praet, die Präsidentin des ISCOS. Es werde eine internationale Weltraumkultur entstehen, die keine Rücksicht mehr auf nationale Grenzen nimmt.
Der Autor arbeitet als Wissenschafts- journalist mit Schwerpunkt Weltall/Raumfahrt in Bonn und Florida.