Datenschutz
Scharfsinnig analysiert Peter Schaar die Überwachungsgesellschaft - Gegenstrategien lässt er jedoch vermissen
Von einem Behördenchef, der Amtsdeutsch gewohnt ist, erwartet man nicht unbedingt eine anschauliche Erläuterung der komplizierten Materie der IT-Welt, des Datenschutzes und der Überwachungssysteme. Dieses Kunststück gelingt dem Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar. Eine leichte Kost ist die Lektüre gleichwohl nicht: Der sperrige Stoff vom allwissenden Internet über Funkchips, Vorratsdatenspeicherung, biometrischen Ausweisen und Videokontrolle bis hin zur elektronischen Gesundheitskarte erfordert schon eine gewisse Anstrengung. Obendrein dürften so manche Leser zuweilen erschreckt innehalten, wenn sie die bereits Realität gewordenen Orwell'schen Szenarien zur Kenntnis nehmen. Eines springt rasch ins Auge: So scharfsinnig der Autor die heutige Überwachungsgesellschaft zu analysieren weiß, so enttäuschend bescheiden kommen Schaars Konzepte daher, die der ausufernden Kontrolle der Bürger Einhalt gebieten sollen.
Es ist wahrlich nicht das erste Mal, dass sich ein Buch der durch die modernen Informationstechnologien beförderten Durchlöcherung der autonomen Privatsphäre wie den Angriffen auf ein unbehelligtes gesellschaftliches Leben der Bürger widmet. Schaars Verdienst ist es jedoch, eine beeindruckende Zusammenschau all der vielen einzelnen Gefährdungen der Freiheitsrechte zu präsentieren. Big Brother: So abgedroschen dieser auch von Schaar verwandte Begriff anmuten mag, so treffend bringt diese Charakterisierung das Problem auf den Punkt.
Natürlich richtet sich die Kritik des Verfassers zu einem guten Teil gegen den Staat. Früher war es so, dass Polizei und Justiz erst bei einem konkreten Tatverdacht einen Bürger im Einzelfall ins Visier nahmen. Mittlerweile werden die Leute auch ohne Verdacht registriert, beobachtet, erfasst, überprüft, kontrolliert. Motto: Man weiß ja nie, ob vielleicht etwas vorliegt oder ob man die Daten eines Tages möglicherweise gebrauchen kann: "Letztlich handelt es sich um einen Generalverdacht gegen jedermann", argumentiert Schaar.
Einige Beispiele aus dem Band. Vorratsdatenspeicherung: Für ein halbes Jahr wird fortan registriert, wer mit wem wann telefoniert, wer wem wann ein E-Mail oder ein Fax schickt. Selbst das Abhören von Telefongesprächen wird immer häufiger praktiziert. Wo bleibt das Fernmeldegeheimnis? Videoüberwachung: Massenhaft filmen Kameras die Alltagsmenschen in vielfältigen Lebenssituationen. LKW-Maut: Die ermittelten Fahrtrouten sollen bald auch von der Polizei für Recherchen genutzt werden können, jeder Brummikapitän wird so zum potenziellen Kriminellen, dessen Daten vorsorglich gesammelt werden. Automatischer Kennzeichenabgleich: Ohne Verdacht wird bei Autofahrern wie bei einer Rasterfahndung überprüft, ob sie mit gestohlenen Wagen unterwegs sind. Biometrie: Ehedem war die erkennungsdienstliche Behandlung ein Instrument bei der Bekämpfung schwerer Kriminalität, nun werden von jedermann Fingerabdrücke in Ausweispapiere aufgenommen. Schaar plagt die Sorge, dass die bereits gängige zentrale Registrierung der Fingerabdrücke von Asylbewerbern "den Probelauf für eine entsprechende biometrische Erfassung auch der deutschen Bevölkerung in Zentralregistern darstellen könnte".
Der Autor listet auch die Gefährdungen des informationellen Selbstbestimmungsrechts jenseits der staatlichen Sphäre auf. Scoring kann Nachteile beim Abschluss von Kredit- oder Versicherungsverträgen mit sich bringen, die elektronische Gesundheitskarte droht Patienten gläsern zu machen, die IT-Technik erweitert die Kontrollmöglichkeiten von Arbeitgebern gegenüber Arbeitnehmern. Schaar führt Klage über all jene Bürger, die unbedacht persönliche Daten im Internet preisgeben, bei TV-Sendungen à la Big Brother mitwirken oder via Kundenkarte ihre Lebensgewohnheiten offenbaren: Doch das geschieht immerhin freiwillig, und diesen Unterschied zur von Staat und Wirtschaft veranlassten Durchleuchtung der Bürger hätte der Verfasser deutlicher herausarbeiten können.
Aber leisten Datenhortung und Überwachung nicht einen Beitrag zur Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung? Schaar führt Statistiken und Studien an, wonach Deutschland trotz aller Defizite ein vergleichsweise hohes Niveau beim Datenschutz hat und trotzdem eine weitaus geringere Kriminalität als etwa die USA, Großbritannien oder Russland mit einem nur mäßig ausgeprägten Datenschutz aufweist. London werde lückenlos von Kameras kontrolliert und verzeichne dennoch eine enorm hohe Kriminalitätsrate.
Allen Argumenten von Bürgerrechtlern zum Trotz schreitet die Überwachungsgesellschaft freilich zügig voran. Gegenstrategien widmet Schaar indes nur ein einziges Kapitel. Ein Appell für eine "Ethik der Informationsgesellschaft", technische Vorkehrungen zur Erzwingung von "Datensparsamkeit" etwa bei Computern, eine Modernisierung des Datenschutzrechts: Solche Vorschläge sind nützlich, doch lässt der Autor den Biss schon etwas vermissen. Freiheitsrechte contra Überwachung: Dieser Konflikt wird im politischen Kampf entschieden. Im Herbst protestierten in Berlin an die zehntausend Demonstranten gegen die Vorratsdatenspeicherung, die bislang größte Manifestation dieser Art. Als vom Bundestag gewählter Datenschutzbeauftragter hat Schaar eine eigenständige Machtposition, und da darf man etwas mehr Verve erwarten.
Das Ende der Privatsphäre. Der Weg in die Überwachungs-gesellschaft.
C. Bertelsmann, München 2007; 255 S., 14,95 ¤