Politische Zoologie
Das Tier ist Repräsentant, Ikone und Akteur - als Herrscher und Beherrschter
Auf den Fotos ist sibirischer August, die Region Tuwa gleicht dem ausgedorrten Wilden Westen. Mittendrin ein Mann mit Outdoorkappe und Hose in Steppengrün. Es ist Wladimir Putin, oben ohne, die Muskelpakete gut sichtbar. Die Bilder vom präsidialen Oberkörper bestimmten im vergangenen Sommer einige Tage lang die internationale Presse. Der russische Präsident am Lagerfeuer. Der Präsident beim Angeln. Der Präsident hoch zu Ross. Putin, der Bezwinger der unwirtlichen Natur.
Es waren Fotos kalkulierter Selbstinszenierung. Weltliche Herrscher, die sich zugleich als Herrscher über das Wilde präsentieren, gehören seit jeher zur Politik. Auf welche Weise diese Machtdemonstrationen auch Tiere involvieren, zeigt der Band "Politische Zoologie" der Kulturwissenschaftler Anne von der Heiden und Joseph Vogl. Mit dem Blick auf Tiere und ihre Instrumentalisierung lassen sich Politik, Politiken und Politiker neu verstehen.
Die Beiträge der Kultur-, Kunst- und Politikwissenschaftler sind dabei aufs Fruchtbarste interdisziplinär: So widmen sie sich etwa einer politischen Interpretation von Goethes redegewandtem Strategen "Reineke Fuchs", untersuchen die Logik von Herden- und Schwarmverhalten und benennen die Fledermaus als Paradigma des Unheimlichen. Das Schema der Aufteilung ist hintersinnig: Die Kapitel "Gesetz der Gattung", "Metaphern und Metamorphosen", "Ordnungswesen. Wesensordnung" sowie "Animals in Mission" spielen in ihrer Reihenfolge auf den Wandel vom Menschen zum zoon politikon an. Zuerst Individuum, dann Gemeinschaft.
Die Differenz zwischen Tier und Mensch ist traditionell markiert durch den Logos, die Vernunft. Oder, wie es Peter Risthaus in seinem Beitrag zusammenfasst: Es ist der Unterschied zwischen "Pfote, Klaue, Hand". Menschen sind vernunftbegabte Wesen, die das Wilde, Chaotische, Unheimliche zähmen und beherrschen können - und wollen. Wie sich Putin in der Tuwa präsentierte, ist ein uralter Trick: Im direkten Vergleich mit Tieren sticht die rationale Überlegenheit des Menschen umso stärker hervor. Gleichzeitig demonstriert diese Gegenüberstellung Macht. Gemälde mit Jagdszenen und erlegten Löwen, wie Ralph Ubl am Beispiel von Eugène Delacroix ausführt, gehören zum traditionellen politischen Bilderrepertoire. Die Unterwerfung der Könige des Tierreichs war von diesen Werken ebenso abzulesen wie die Größe des eigenen Reichs - es reichte bis in Erdteile, in denen jene fremden Ge-schöpfe lebten.
Ebenfalls als optisches Accessoire mit Aussagekraft beliebt: der Hund auf Herrscherportraits. Aber, anders als Raubtiere, tauchten sie schon zu Zeiten Karl V. als Freunde des Menschen auf. Tizian malte den Kaiser mitsamt Ulmer Dogge. Sie symboli- sieren die Tugenden ihrer Herren: So verweisen Jagdhunde als emsige Fährtenleser auf die geschärften Sinne ihrer Besitzer, kleine Malteserhunde, wie etwa bei Jan van Eycks Arnolfini-Hochzeit, spielen auf Familiensinn und Treue an. Der Hund als Emblem ist auch heute en vogue, man denke nur an Spot und Millie, die first dogs der Präsidentschafts-Ären Bush, Putins Labrador Koni oder an Gerhard Schröder mit seinem Familien-Terrier Holly.
Eine andere enge Verbindung zwischen Mensch und Tier klopfte der bekanntermaßen tieraffine Berliner Kulturwissenschaftler Thomas Macho auf politischen Gehalt ab: Herde und Hirte, eine symbiotische Beziehung. Vom kirchlichen Gebrauch des Hirtenbildes ausgehend, transferiert er das Bild auf die säkulare Macht: "Die Frage nach dem guten Hirten", so Macho, "entziffert sich rasch als die Frage nach dem gerechten und guten Herrscher." Und gut ist der, der "die Tiere seiner Herde als Individuen" beschützt, schlecht, wer eigennützig, rücksichtslos mit seiner Herde umgeht und sie nicht vor Gefahren schützt.
Die weitaus spannendere Opposition aber macht Macho aus zwischen dem Hirten und dem Viehzüchter. Agrarische Tierhaltung hier, nomadische Zucht dort - Menschen, die sich um das kontrollierte Fortbestehen der Gruppe unter ihrer Aufsicht sorgen, hier; und Barbaren, denen es nur ums wohlgenährte Schlachtvieh geht, dort. Thomas Macho geht so weit, diese beiden Extreme als "Polarität politischer Maximen" zu fassen. Allerdings birgt diese Zuspitzung im Falle des auf eine gesunde Herde bedachten Hirten auch den offensichtlichen Verweis auf die Logik von Rassenhygiene, worauf Macho allerdings nicht explizit eingeht. Ex negativo bietet er allerdings eine weitere Allegorie an - die des Politikers als Weber. Diese orientierten sich bei der Auswahl der tierischen Wolle "an Vielfalt und Reichtum" einer Population, vergleichbar etwa mit aktuellen politischen Initiativen rund um Diversity Management.
In diesem Sinne haben sich Vogl und von der Heiden als exzellente Weber erwiesen. Das System Politik basiert auf erstaunlicher Weise auf Analogien und Bildern, die tief verwurzelt sind. Die oft tradierten Konzepte, Denkmuster und Metaphern von Macht, die auch heute permanent angewandt werden, werden in dem Sammelband geradezu tierisch entschlüsselt.
Für Aristoteles gehörte übrigens nicht nur der Mensch zur Gattung des zoon politikon. Er rechnete ganz selbstverständlich Bienen, Ameisen und Wespen dazu. Sie alle organisieren sich als Gruppe, unter einem Anführer. Ob dieser Hirte oder Viehzüchter ist, müssen die Wähler von Fall zu Fall ent-scheiden.
Politische Zoologie.
Diaphanes, Berlin 2007; 373 S., 29,90 ¤