Geahnt hatten es die Wähler schon lange: Die politische Richtungslehre ist überholt. Die Zeiten, in denen die Union unumstößlich für traditionelle Familienwerte stand, sind passé - heute sind die wahren Konservativen in der SPD.
Klar gemacht hat das der niedersächsische SPD-Spitzenkandidat Wolfgang Jüttner. Er bezichtigte den amtierenden Ministerpräsidenten Christian Wulff der Liederlichkeit, weil der sich von seiner Frau getrennt hat und mit seiner neuen Freundin ein Kind erwartet. Auch Jüttners Ehefrau Marion ist entsetzt und stellte fest, sie leide mit Wulffs verlassener Ehefrau und sei im Übrigen froh, dass der CDU-Politiker nicht ihr Schwiegersohn sei.
Abgesehen davon, dass auch Wulff nicht böse sein dürfte, mit Frau Jüttner weder verwandt noch verschwägert zu sein, muss die Union natürlich ernsthaft in sich gehen. Die eigene Parteichefin ist nach langen Jahren wilder Ehe bereits zum zweiten Mal verheiratet, in der Schwesterpartei sorgte Minister Seehofer gerade erst für delikate Schlagzeilen und der in Ehefragen stabile Wahlkämpfer Koch ist für eine moralistische Werte-Debatte verhindert, weil er sich vom Vorwurf befreien muss, Kinder in den Knast stecken zu wollen.
Gute Zeiten für SPD-Chef Beck, seit gefühlten 150 Jahren mit seiner Roswitha verheiratet. Er kann nun auf seinen untadeligen Lebenswandel verweisen und für seine Partei in Anspruch nehmen, für Anstand und Sitte zu stehen. Doof für die Union, der nur noch ein Coup bleibt: Merkel lernt von Staatschef Sarkozy, der auf alle Konventionen pfeift und Schlagzeilen mit einem heißen Model macht. Die CDU-Chefin sollte sich bei der nächsten Alle-gegen-Armut-Veranstaltung einfach Brad Pitt oder George Clooney schnappen und mit Kuschelbildern punkten - dafür hätte sicher sogar Frau Jüttner Verständnis.