BÜROKRATIEABBAU
Der Normenkontrollrat meldet erste Erfolge. Die Opposition dämpft die Euphorie.
Um mehr als 700 Millionen Euro ist die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr netto entlastet worden. Diesen Erfolg meldete am 17. Januar nicht etwa der Wirtschafts- oder der Finanzminister im Parlament, sondern Hildegard Müller (CDU), Staatsministerin im Bundeskanzleramt und zuständig für den Bürokratieabbau. Die Entlastung kam nach den Worten Müllers zustande, weil der Normenkontrollrat 333 Gesetze und Verordnungen darauf hin untersucht hat, in welchem Umfang ihre Anwendung bei den Adressaten Kosten verursacht. Das Expertengremium unter Vorsitz von Ex-Bahnchef Johannes Ludewig ermittelt dabei nicht nur die Kosten mit Hilfe des so genannten Standardkosten-Modells, sondern macht sich im Einzelfall auch Gedanken, ob der Gesetzeszweck für die betroffenen Unternehmen nicht kostengünstiger erreicht werden kann. Die Expertise hat sich gelohnt, wie man dem Entlastungsvolumen entnehmen kann.
Seit dem 1. Dezember 2006 ist der Normenkontrollrat tätig, vor kurzem hat er seinen ersten Jahresbericht vorgelegt, den der Bundestag zur weiteren Beratung an den Wirtschaftsausschuss überwiesen hat. Darin wird die Zahl von 794 Millionen Euro genannt, um die die deutsche Wirtschaft durch Bürokratieabbau und bessere Gesetze künftig entlastet werden könnte. In ihrem Bericht machen die Bürokratieprüfer allerdings deutlich, dass sie Regierungsentwürfe prüfen, ehe diese ins Parlament gelangen. Und im Parlament können diese Entwürfe geändert werden. Die Gefahr, dass sich dadurch neue Bürokratiekosten einschleichen, ist durchaus gegeben. Ein Umstand, den Kerstin Andreae von den Grünen aufspießte: "Die vorherigen Empfehlungen des Normenkont-rollrats können still und heimlich außer Acht gelassen werden." Beispiel Unternehmensteuerreform: Da habe die Koalition zehnmal mehr neue Pflichten für die Betriebe eingeführt als alte abgeschafft, sagte die Abgeordnete.
Für Hildegard Müller ist der Bürokratieabbau auf gutem Weg. Wie aus dem Regierungsbericht zur Anwendung des Standardkosten-Modells mit dem Titel "Bürokratiekosten: Erkennen - Messen - Abbauen" ( 16/6826) hervorgeht, haben die Bundesministerien rund 11.000 Informationspflichten der Wirtschaft im Bundes- und im EU-Recht identifiziert. Allein durch die Erfüllung von rund 2.100 Informationspflichten entstünden der Wirtschaft Kosten von rund 27 Milliarden Euro. Zwei Gesetze zur Entlastung des Mittelstandes seien bereits verabschiedet, so Müller.
Die Koalition hat sich zum Ziel gesetzt, 25 Prozent der Bürokratiekosten bis zum Jahr 2011 abzubauen. Auch auf EU-Ebene ist das Thema während der deutschen Ratspräsidentschaft vorangebracht worden. Hier wolle man den 25-prozentigen Abbau bis zum Jahr 2012 hinbekommen, sagte die Staatsministerin. Sie rief die Abgeordneten dazu auf, bei eigenen Gesetzesinitiativen die Bürokratiekosten mitzubedenken, auch wenn die gesetzliche Verpflichtung dafür fehle: "Der Normenkontrollrat steht gern zur Verfügung."
Diese Gesetzeslücke will die Koalition nun offenbar schließen. Hartmut Koschyk (CDU/CSU) kündigte an, dass der Normenkontrollrat künftig auch Gesetzesinitiativen des Parlaments überprüfen solle. Er regte ferner an, den Bürokratieabbau auf die Landes- und kommunale Ebene sowie auf die Sozialversicherungsträger auszudehnen. Ebenso müsse man die ehrenamtlich Engagierten im Lande in den Blick nehmen und sie bei ihrem Engagement von Bürokratie befreien.
Dass auf die Entlastung der Wirtschaft die Entlastung der Bürger folgen muss, sieht auch Rainer Wend (SPD) so. Wer derzeit etwa eine ältere Person pflege, dem würden zusätzliche bürokratische Pflichten aufgebürdet. Aus Sicht der SPD-Fraktion stellte Wend klar, was, Bürokratieabbau nicht sein darf, nämlich ein Abbau von Rechten der Arbeitnehmer. Im vergangenen Jahr ist nach seinen Worten identifiziert worden, was getan werden muss. In diesem und im nächsten Jahr müsse nun der "reale Abbau" der bürokratischen Belastungen folgen. Beispiel Denios AG in Bad Oeynhausen, ein umwelttechnisches Unternehmen mit etwa 600 Beschäftigten weltweit und 220 Mitarbeitern vor Ort. Das Unternehmen müsse 204 staatliche Informationspflichten erfüllen und wende dafür etwa 5.100 Stunden im Jahr auf, sagte Rainer Wend. Bürokratiekosten: rund 168.000 Euro, wobei die durch die Sozialversicherungen verursachten Kosten noch nicht mitgerechnet sind.
Deutlich nüchterner bewertete Birgit Homburger (FDP) die bisherigen Ergebnisse: die Mittelstandsentlastungsgesetze hätten keine erkennbare Wirkung, die Kompetenzen des Normenkontrollrats reichten nicht aus, weil sein Arbeitsfeld auf die Informationspflichten begrenzt sei und der Fraktionsvorlagen nicht unter die Lupe nehmen könne. "Die Regierung verliert sich im Klein-klein von Rechtsbereinigungsgesetzen, die eh keine Anwendung mehr finden", klagte Homburger. Zugleich ächzten die Betriebe unter massiver Bürokratielast. Die großen Kostenblöcke würden dagegen nicht angegangen: Das Steuer- und Abgabenrecht, das Sozialversicherungsrecht, das Arbeits- und Umweltrecht und die viele Statistiken.
Nicht viel vom Vorgehen der Regierung hält Herbert Schui (Die Linke). Wenn das Ziel erreicht sei, wisse man nicht, welche Informationen unter den Tisch gefallen seien. Parlament und Forschung seien aber auf bestimmte Daten angewiesen. Zunächst müsse daher geklärt werden, welche Daten man benötigt, um dann auf die übrigen verzichten zu können. Homburger und Schui forderten ferner, ressortspezifische Zwischenziele zu formulieren.