Privatisierung
Rüdiger Liedtkes kritisch-differenzierter Blick auf die Schattenseiten
Dieses Buch ergreift Partei. Doch Rüdiger Liedtke präsentiert sich nicht als Eiferer, wenn er gegen die Privatisierung öffentlicher Unternehmen oder staatlicher Daseinsvorsorge zu Felde zieht. Der Autor argumentiert differenziert, weshalb er die Telekommunikation als erfolgreiches Modell der Privatisierung beschreibt: Die gesunkenen Preise fürs Telefonieren haben der Bevölkerung tatsächlich einen Nutzen gebracht. Liedtkes Leitlinie für sinnvolle Privatisierungen: Kommerzielle Anbieter müssten den Bürgern spürbare Erleichterungen bringen - "weniger Bürokratie, Transparenz, einen freundlichen und zielgerichteten Service und moderate Preise". Und das Ganze dürfe nicht "zu Lasten und Kosten der Allgemeinheit gehen".
Nun lassen sich gewiss noch mehr Beispiele gelungener Privatisierungen finden. Doch es gibt eben auch die Schattenseiten, und die will dieser Band ins Rampenlicht rücken.
Liedtke schildert zahlreiche Fälle missratener Privatisierungen, die in einen analytischen Kontext eingeordnet werden. Der Verfasser erläutert verständlich die verschiedenen Konzepte der Privatisierung vom Vollverkauf an Unternehmen über privat- rechtliche Organisationsformen bis hin zur Mischform Public-Private-Partnership (PPP). Natürlich fragt sich Liedtke, warum ein "Privatisierungsrausch" zu beobachten ist: Für den Autor liegt die Ursache in der Kombination aus vorherrschendem wirtschaftsliberalen Mainstream und aus der Finanznot, unter der Bund, Länder und Kommunen stöhnen.
Man kann Bürgermeister und Finanzminister ja durchaus verstehen, wenn sie sich durch den Verkauf von Kliniken, Wohnungsunternehmen, Wasser- und Müllentsorgung oder Verkehrsgesellschaften finanziell Luft verschaffen wollen. Indes bewirkt der Verkauf von Staatsbesitz nur einen Einmaleffekt, dann ist das "Tafelsilber" ein- für allemal weg. Beim Wohnungsbau geben die Rathäuser obendrein ein Instrument zur Versorgung einkommensschwacher Bürger und für die städtebauliche Gestaltung aus der Hand.
Liedtke erinnert daran, dass die öffentliche Verschuldung zu einem guten Teil auf der Reduzierung von Steuereinnahmen zugunsten der Privatwirtschaft beruht. Die von ihm sehr wohl erwähnte bürokratische Ineffizienz des Staats als Kostenfaktor hätte er allerdings schon stärker gewichten können. Zu nennen wäre zudem die Vielzahl von Fördertöpfen, die oft von Lobbygruppen durchgesetzt werden.
Nun sollen kommerzielle Unternehmen effizienter, billiger, transparenter, kurzum besser sein als der Staat. Freilich ist dies häufig nicht so, und dies dekliniert das Buch in vielen Fällen durch. Nach der Liberalisierung des Energiemarkts sanken die Strompreise nicht, sie klettern angesichts der Marktmacht von vier Konzernen munter weiter. RWE stieg aus der Londoner Wasserversorgung wieder aus, als den Essenern die Investitionen ins marode Leitungsnetz zu teuer wurden. In privater Hand ließ British Rail das Schienennetz verkommen. Westliche Unternehmen haben die Strom- und Gaswirtschaft in Osteuropa saniert, doch das ging einher mit Standortschließungen und Entlassungen. Die Stadt Köln mietete eine von einem Privatkonsortium hochgezogene Arena an: Ein Gericht stellte fest, dass deren Bau direkt durch die Kommune billiger gewesen wäre.
Inzwischen scheint sich die Privatisierungseuphorie wieder etwas zu verflüchtigen. Wegen steigender Preise hat etwa Potsdam die Wasserversorgung wieder in Eigenverantwortung übernommen, mehrere Städte und Kreise haben die Müllentsorgung rekommunalisiert. Der Widerstand gegen einen Börsengang der Bahn kommt nicht von ungefähr. Die Freiburger lehnten in einer Volksabstimmung den Verkauf der kommunalen Wohnungsgesellschaft ab. Diesen Trend, im Buch anhand einiger Beispiele unterlegt, hätte Liedtke durchaus vertiefter analysieren können.
Wir privatisieren uns zu Tode. Warum uns der Staat an die Wirtschaft verkauft.
Eichborn-Verlag, Frankfurt/M. 2007; 262 S.,16,95 ¤