SCHLÜSSELINDUSTRIEN
Die Regierung will Investitionen ausländischer Staatsfonds im Auge behalten - und notfalls untersagen
Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst staatlicher Investmentfonds. Auf der einen Seite bündeln Schwellenländer wie China, Russland oder Abu Dhabi gigantische Devisenreserven in staatlichen Anlagegesellschaften; auf der anderen schmieden europäische Politiker allerorten an nationalen Schutzwällen. Nicht nur in Brüssel und Berlin befürchten Volksvertreter die feindliche Übernahme ihrer Schlüsselindustrien. Russen und Chinesen sollen draußen bleiben. Und die Zeit der schonungslos offenen Märkte scheint vorbei, bevor sie so recht begonnen hat.
Die Begründung ist immer die gleiche: Es geht um "die öffentliche Ordnung" und "die öffentliche Sicherheit". Zuerst reagierte Brüssel auf das Schreckgespenst, der russische Gasprom-Konzern könne irgendwann einmal der EU den Gashahn zudrehen - genauso wie im vorletzten Winter der Ukraine. Schnell zimmerten die Kommissare einen Schutzzaun für den europäischen Strom- und Gasmarkt. Ihre Mitgliedstaaten warnten sie sogleich vor nationalen Alleingängen. Denn Kommissionspräsident Manuel Barroso weiß, dass zurzeit "eine Schutzpolitik gegenüber Unternehmen aus Drittstaaten in jedem Land der Union entsteht".
Zum Beispiel in Deutschland: Die Große Koalition in Berlin ließ sich von Barrosos Vorstoß nicht ablenken und legte Ende Oktober einen eigenen Gesetzentwurf vor, der weit über die Brüsseler Energiemarkt-Klauseln hinausgeht. Demnach könnten deutsche Ministerien in Zukunft jedwede Investition "gebietsfremder Erwerber" in heimische Unternehmen blockieren, die über eine Beteiligung von 25 Prozent hinausgeht. Und zwar nicht nur im sensiblen Energiesektor, sondern prinzipiell in jeder Branche. Natürlich nur im Einzelfall, und wenn es unerlässlich ist, um diese zwei Dinge zu gewährleisten: die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik.
Woher so viel Angst? Vielleicht war es der Gasprom-Schock. Vielleicht steckt den Politikern und Managern auch noch die Furcht vor den "Heuschrecken" in den Knochen, jenen privaten Finanzinvestoren, denen Franz Müntefering vorgeworfen hatte, wie Schwärme über Unternehmen herzufallen, sie abzugrasen und dann kaputtgehen zu lassen. Ganz sicher aber schüchtert sie eine Zahl ein: Auf sagenhafte 2,5 Billionen Euro schätzt die Investmentbank Morgan Stanley das Gesamtvermögen der Staatsfonds. China, Russland, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Brunei, Kuwait und Singapur, aber auch Norwegen verfügen über solch immense Geldtöpfe. Allein das Reich der Mitte hat Reserven von annähernd einer Billion Euro angehäuft. Spätestens seit die Volksrepublik Ende Juni 200 Milliarden Dollar (rund 137 Milliarden Euro) in die neu gegründete China Investment Corporation (CIC) pumpte, gefror einigen deutschen Vorständen das Blut in den Adern.
Plötzlich meldeten sich die unwahrscheinlichsten Bedenkenträger. So warnte Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann die Sozialdemokraten im Willy-Brandt-Haus vor den neuen Fonds und mahnte eine "politische Antwort" an. Selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) zeigte sich angesichts der großen Geldtöpfe um die globale Finanzstabilität besorgt: "Staatliche Vermögensfonds sind eine Blackbox", sagte IWF-Chefökonom Simon Johnson: "Wir wissen nicht, was passiert, und wir sollten uns darüber Sorgen machen." Zumal das Gesamtvolumen der politisch kontrollierten Fonds in den nächsten Jahren steigen wird. Je nachdem, welcher Schätzung man traut, auf 8 bis 12 Billionen Euro. Die meisten börsennotierten deutschen Firmen dürften Johnsons Sorgen teilen. Anteile an Unternehmen sind an der Börse schließlich frei zu erwerben, oft sogar ohne dass Unternehmensvorstände wissen, welche Geldgeber mit welchen Motiven sich wirklich hinter den Investmentbanken verstecken, die ihre Aktien kaufen.
Noch ordnet der chinesische CIC seine Bücher und sucht nach Mitarbeitern. Dabei müssen Bewerber auf einer Website auch angeben, ob sie Parteimitglied sind. In China gibt es bekanntlich nur eine Partei, und diese möchte die Kontrolle über ihr Geld streng bewahren. Ein Drittel des Fonds ist für Auslandsinvestitionen vorgesehen. Allerdings ist der Fonds vermutlich erst 2009 voll handlungsfähig. Ganz anders als die ölschwangere Investmentgesellschaft des Emirates Abu Dhabi. Ende November hatte der knapp 450 Milliarden Euro schwere Adia-Fonds 4,9 Prozent an der weltgrößten Bank, der amerikanischen Citigroup, erstanden. Weitere von der Hypothekenkrise angeschlagene Banken dürften in nächster Zeit ebenfalls ins Visier von Staatsfonds geraten, vermuten Finanzexperten. Obwohl eine solche Shoppingtour das globale Finanzgefüge zurzeit wohl eher stabilisiert, will die Bundesregierung den Anfängen wehren. Weil allein Chinas Geld theoretisch reichen würde, um alle 30 Dax-Konzerne zu schlucken, entschloss sich die Regierung zu handeln.
Im Zusammenspiel zwischen Finanzstaatssekretär Thomas Mirow, Wirtschaftsstaatssekretär Bernd Pfaffenbach, Jörg Asmussen aus dem Bundesfinanzministerium und Jens Weidmann aus dem Bundeskanzleramt entstand der aktuelle Entwurf einer Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG), über den noch in der ersten Hälfte dieses Jahres entschieden werden soll. Gab das AWG der Regierung bisher lediglich in der Rüstungsindustrie und bei Nachrichtenverschlüsselungssystemen die Möglichkeit, unliebsame Investoren auszusperren, sollen diese Befugnisse nun erheblich erweitert werden. Vorbild sind ähnliche Regelungen in den USA, Frankreich oder Groß- britannien.
Im Entwurf heißt es, dass das Bundeswirtschaftsministerium den Erwerb eines gebietsansässigen Unternehmens durch einen Gebietsfremden innerhalb von drei Monaten seit Veröffentlichung des Übernahmeangebots oder Abschluss des Kaufvertrages darauf überprüfen kann, ob der Erwerb die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik beeinträchtigt. Die Regierung könnte ausländischen Investoren danach untersagen, eine Sperrminorität von über 25 Prozent an einem deutschen Unternehmen zu erwerben, ganz gleich, ob dieser Investor staatlich oder privat ist. "Eine Abkehr von der offenen Haltung des Investitionsregimes ist hiermit nicht verbunden", betont das Ministerium in seiner Begründung. Das Thema ist schließlich delikat: Auf keinen Fall will die Regierung den Eindruck erwecken, im hemdsärmeligen Stil eines Nicolas Sarkozy Investoren hinauszukomplimentieren. Andererseits will Berlin auf keinen Fall seine mühsam privatisierten Schlüsselindustrien direkt in die Hände ausländischer Staatsfonds fallen lassen. Welche das überhaupt sind, bleibt unklar. Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) stellte vorsorglich schon einmal einen Katalog der schützenswerten Branchen auf: die Infrastrukturbranchen Energie, Telekommunikation, Post, Logistik und Bahn, außerdem Banken und Medien - ein Who's who der deutschen Wirtschaft. Auch die Automobilindustrie oder Informationstechnologie geisterten bereits durch die Debatte.
Am offensivsten vertritt ausgerechnet die CDU das Thema. Auf ihrem Parteitag Anfang Dezember haben die Christdemokraten einen eigenen Vorschlag für eine noch stärkere Investitionskontrolle ins Spiel gebracht. Das rückwirkende Vetorecht der Regierung soll danach auf volle drei Jahre ausgeweitet werden. Vor allem Hessens Ministerpräsident Roland Koch wird nicht müde, vor "ehemals sozialistischen Ländern mit dem klassischen Politikverständnis, dass der Staat die Wirtschaft bestimmt", zu warnen.
Experten halten das Gesetz für überflüssig. Der renommierte Aktienrechtler Professor Marcus Lutter vom Zentrum für europäisches in Bonn hält die Definitionen des Gesetzes für nicht nachvollziehbar: "So ein plakatives Gesetz ist schnell gemacht, aber wenn man es einmal anwenden muss - Hallelujah!" Nicht nur die diplomatischen Verstrickungen seien unberechenbar; ein gesperrter Investor könne gegen einen schlecht begründeten Verwaltungsakt auch gerichtlich vorgehen. Wenn überhaupt, müssten solche Fragen in Brüssel geklärt werden.
Heiner Flassbeck, Chefökonom der Welthandels- und Entwicklungskonferenz der UNO, hält die gesamte Diskussion für absurd. Staatliches Geld gegenüber privatem Geld zu diskriminieren sei weder machbar noch wünschenswert, sagt der ehemalige Finanzstaatssekretär. "Wenn wir das Geld, das wir in China oder Russland für Rohstoffe und Waren ausgegeben haben, am Zurückkommen hindern, schaffen wir die schlechteste aller Welten." Staaten seien sogar eher als Private-Equity-Firmen an langfristigen Anlagen interessiert. So sei es durchaus sinnvoll, Regeln für das "Benehmen" des Kapitals in einem Land aufzustellen und kurzfristige Beutestrategien durch Bindungsfristen zu unterbinden: "Die müssen dann aber für private und öffentliche Anleger gleich gelten." Einen Angriff ausländischer Staatsfonds auf deutsche Unternehmen gab es bislang nicht. Beispiel China: Von den 390 Milliarden Euro Auslandsinvestitionen in Deutschland stammen bisher weniger als ein Promille aus dem Reich der Mitte. Als Kanzlerin Merkel im Spätsommer Peking besuchte, zeigten sich die Kommunisten verständnisvoll: Zurzeit suche man nur nach guten Geldanlagen für die hohen Überschüsse, strategische Industrieunternehmen stünden nicht auf dem Einkaufszettel. Das mag stimmen. Und wenn nicht, hätten es die Chinesen Frau Merkel wohl auch nicht verraten.