DAYTRADER
Sekunden entscheiden beim täglichen Handel an der Börse über Gewinn oder Verlust. Den Druck halten nicht viele aus
Wenn ein einziger falscher Tastendruck eine halbe Million Verlust bedeutet, dann muss jemand gute Nerven haben, um seinen Job auszuhalten. Kevin Sternkopf ist gerade mal 28 Jahre alt, und er verdient sein Geld damit, sich jeden Tag aufs Neue diesem Druck auszusetzen. Kevin Sternkopf ist Daytrader.
Wer sich für diesen Beruf entscheidet, den lässt die Börse nicht mehr in Ruhe. Denn als Daytrader kauft und verkauft man seine Werte innerhalb eines einzigen Tages. Zwei Tastenanschläge, und der Trade ist schon wieder vorbei. Spitzentrader kommen auf mehrere Hundert Trades pro Tag.
Das Büro in München, von dem aus Kevin Sternkopf tradet, gleicht ein bisschen einer Schaltzentrale aus einem Star-Trek-Film. Vier Flachbildschirme nebeneinander, auf jedem sind Börsenkurse zu sehen, zeichnen sich Kurven ab wie bei einem EKG. "Als Daytrader musst du eine Strategie haben. Die Börse ist verführerisch, sie kann gierig machen, unvernünftig, maßlos. Und das sind Eigenschaften, die du dir auf gar keinen Fall erlauben darfst", sagt Sternkopf. Keine Angst, keine Gier, keine Panik, keine Euphorie, das sind die Regeln.
Neben Kevin Sternkopf auf dem Tisch liegt auch beim Abendessen sein Blackberry-Endgerät. Kann ja sein, dass etwas passiert. Seinen Job erklärt er mit einem Poker-Vergleich: "Ein guter Daytrader ist, wer sein Geld klug einsetzt, wer nicht nur ein Pokerface macht und überlegt, ob die anderen bluffen, sondern seine Karten anschaut, im Kopf durchspielt, welche Karten die anderen haben könnten, und sich Gewinnchancen und Verlustrisiko ausrechnet." Mitte der 90er-Jahre war Sternkopf im Alter von 17 Jahren durch unglückliche Umstände zu etwas Geld gekommen: Nach einem schweren Autounfall hatte er Schmerzensgeld bekommen, das er nun anlegen wollte - und ging an die Börse, machte zunächst 40 Prozent Buchgewinn. Nach 2001, als die New Economy-Blase gerade dabei war zu platzen, waren aus 40 Prozent Gewinn plötzlich 20 Prozent Verlust geworden. "Das war eine krasse Zeit. Ich hatte große Selbstzweifel, war frustriert. Und ich fand auf einmal die Vorstellung furchtbar, dass ich womöglich jahrelang warten muss, bis ein Kurs wieder den gleichen Stand erreicht hat wie zum Kaufzeitpunkt."
Er verkaufte alles und überlegte sich ein System. So begann er neben seinem Studium mit dem Daytraden. Und verhielt sich erst mal wie ein schlechterer Pokerspieler. Er zockte. "Ich habe einfach losgelegt, ohne den Markt wirklich zu kennen, ohne zu wissen, wie er manchmal ticken kann. Das ist wie beim Marathon: Man darf am Anfang nicht zu viel wollen, sonst verliert man. Oder wie im Casino: Nach einer Glückssträhne darf man nicht übermütig werden und denken, man sei unbesiegbar, sonst geht man zugrunde."
Bei ziemlich vielen Dingen im Leben gelten die gleichen Regeln wie beim Daytraden. An diese Regeln hält sich Sternkopf nun schon lange. Er arbeitet mit einem so genannten Money- und Stop-Management. Mit einem Programm legt der Daytrader fest, wann ein Trade automatisch beendet wird. "Stop-Management im Kopf funktioniert nämlich nicht", sagt Sternkopf. Verführbarkeit ist menschlich. "Man ist sich zum Beispiel total sicher, dass die Siemens-Aktie heute hochgeht. Vorher sagt man sich noch, wenn sie wider Erwarten unter 50 rutscht, verkaufe ich Und dann rutscht sie auf 49,5, auf 49, und man war sich aber doch so sicher, dass die Aktie heute steigt. Ohne Stopp stürzt man sich womöglich ins Verderben, weil man den Absprung mental nicht schafft und nicht früh genug verkauft." Als Daytrader muss man lernen, mit extremen Gefühlslagen umzugehen. "Es kann vorkommen, dass ich mehrere Trades pro Tag vergeige, mehrere Tage hintereinander. Dann muss es die Tage darauf wieder laufen", sagt Sternkopf. Er ist emotionsloser geworden. "Ich habe gelernt, dass es nichts hilft, so viele Nerven zu lassen. Ich weiß mittlerweile, wenn es nicht läuft, liegt es am Markt und nicht an mir." Früher ist er viele Kilometer an der Isar entlang gelaufen, um den Druck loszuwerden. Heute meditiert er regelmäßig. Den Druck halten nicht viele aus. Dirk Althoff, Sprecher von Cortal Consors, einer der größten Direktbanken, schätzt, dass es in Deutschland nur um die 3.000 bis 5.000 Daytrader gibt. "Während der New Economy wurde jede Hausfrau zum Daytrader." Nach dem Einbruch sind die übrig geblieben, die die psychologischen Voraussetzungen mitbringen, als Daytrader zu bestehen. Wie wenig Daytraden mit normalem Aktienhandel zu tun hat, zeigen folgende Zahlen: Bei Sino, einer Spezialplattform für Daytrader, traden knapp über 600 Kunden. Ingo Hillen vom Sino-Vorstand erklärt: "Jeder unserer Kunden macht im Schnitt 230 Trades im Monat. Die 615 Depots unserer Kunden brachten zwischen Januar und September 2007 ein Ordervolumen von 38,4 Milliarden Euro. Zum Vergleich: 600.000 Comdirect-Kunden schafften in der Zeit 41,8 Milliarden." Die Zahlen zeigen, dass Daytrader sich zu Freiräumen und Pausen zwingen müssen. "Ereignisreiche Zeiten sind die spannendsten an der Börse. Und wenn Kurse in den Himmel steigen oder in den Abgrund stürzen, während man selbst gerade in einem Strandkorb sitzt, dann geht sofort die rote Lampe an und man denkt, dass in diesen Sekunden andere das große Geld verdienen", sagt Kevin Sternkopf. Er musste lernen, sich Freiräume zu verordnen. Er richtet gerade eine neue Wohnung ein, auf dem Land, mit Blick auf die Alpen und - ohne Computer.
Die Autorin ist freie Journalistin. Sie lebt in Berlin und München.