Insgesamt 73 Abgeordnete errangen in der 59-jährigen Geschichte des Bundestages ein Überhangmandat. Schied einer von ihnen aus dem Parlament aus, wurde ein Nachrücker aus seiner Landesliste berufen. Diese selbstverständliche Praxis schien durch den entsprechenden Passus im Bundeswahlgesetz legitimiert: "Wenn ein Abgeordneter aus dem Deutschen Bundestag ausscheidet, so wird sein Sitz aus der Landesliste derjenigen Partei besetzt, für die der Ausgeschiedene bei der Wahl aufgetreten ist." Mit seinem Urteil bereitete das Bundesverfassungsgericht 1998 dem Nachrücken ein Ende. Ein Abgeordnetensitz könne nur aufgrund einer demokratischen Mehrheit erworben werden, Ersatzleute für ausgeschiedene Mandatsträger "müssen wenigstens durch die Wahl mit der Zweitstimme legitimiert sein", heißt es im Beschluss.
Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmandate in einem Bundesland erringt, als ihr aufgrund des Zweitstimmenanteils zukommen. Solange eine Partei im betreffenden Bundesland über Überhangmandate verfügt, sei ihr Sitzkontingent erschöpft, entschieden die obersten Verfassungshüter. Ein Wähler aus Baden-Württemberg hatte geklagt, nachdem für den verstorbenen Überhang-Abgeordneten Rainer Haungs (CDU) ein Nachfolger der Landesliste ins Plenum einzog. Er hatte seine Klage mit dem Grundsatz der gleichen Wahl begründet, wonach Überhangmandate nur insoweit verfassungsrechtlich unbedenklich seien, als sie eine notwendige Folge der personalisierten Verhältniswahl darstellten.