Wildkatze
Grüne Korridore sollen die Wanderung zwischen den Biotopen ermöglichen
Der Plan ist ehrgeizig und nicht ohne Risiko, denn die Hauptfigur ist extrem scheu und schwer berechenbar. Es geht um die Wildkatze, eine der besonders bedrohten Tierarten in Deutschland. Der Plan sieht vor, dass sie sich auf Wanderschaft begibt: Vom Nationalpark Hainich in den nahegelegenen Thüringer Wald, vom Hunsrück in den Pfälzer Wald, vom Spessart in den Odenwald, von der Lüneburger Heide in den Harz. Und von dort aus jeweils weiter in das nächste Biotop. Das Problem: Nie würde eine Wildkatze freiwillig eine Pfote auf kultiviertes Ackerland setzen oder eine offene Wiese durchqueren. Also bauen ihr Naturschützer grüne Korridore, in denen sie sich sicher genug fühlt, um die Wanderschaft in neue Gefilde anzutreten.
20.000 Kilometer "Katzenwanderwege" kreuz und quer durch die Republik sollen entstehen, um die bislang isolierten Lebensräume zu verbinden. Jahrelang bereitete der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) das Projekt vor, akribisch erforschten Biologen und Naturschützer die Lebensgewohnheiten der Wildkatzen im thüringischen Nationalpark Hainich. Das nahezu unberührte Laubwaldgebiet ist eines ihrer letzten großen Rückzugsgebiete in Deutschland.
War die Wildkatze vor 200 Jahren noch in ganz Deutschland verbreitet, sind es heute nur noch 3.000 bis 5.000 Tiere. Die scheuen Mäusejäger brauchen zum Überleben ursprüngliche Wälder, von denen es in Deutschland nur wenige gibt.
In drei bis fünf Jahren, so hofft der BUND-Artenschutzexperte Mark Hörstermann, könnten die ersten Wildkatzen sicheren Fußes vom Hainich in den 20 Kilometer entfernten Thüringer Wald schleichen und sich dort wieder ansiedeln. "Eine bessere Verknüpfung der Wälder ist auch für andere Arten ein Gewinn", sagt Hörstermann. Die grünen Korridore sollen auch von Dachsen, Baummardern und gefährdeten Vogel- oder Schmetterlingsarten genutzt werden. Denn wenn die Tiere auf Dauer ihre Schutzgebiete nicht verlassen können, droht der Verlust der genetischen Vielfalt und letztlich das Aussterben der Art. "Wir müssen hier mit gutem Beispiel vorangehen und die Verantwortung für unsere Natur wahrnehmen", sagt Hörstermann mit Blick auf die UN-Naturschutzkonferenz Ende Mai in Bonn.
Vor wenigen Wochen war Baubeginn für das erste Teilstück des Katzenwanderwegs: am Südrand des Hainich wurden 20.000 Eschen, Linden und andere Laubbäume gepflanzt. Mit Sträuchern, Hecken, Reisig- und Steinhaufen sollen urwaldartige, etwa 50 Meter breite Korridore entstehen. Das größte Hindernis zwischen Hainich und Thüringer Wald ist die Autobahn A4 östlich von Eisenach. Doch die Artenschützer profitieren nun ausnahmsweise einmal von einer Großbaustelle: Die Trasse auf Höhe der Hörselberge wird aus verkehrstechnischen Gründen verlegt; in Abstimmung mit dem Land Thüringen und den Autobahnbauern wird eine Brücke des Neubaus zum "Ökotunnel" für den Katzenwanderweg.
Das Bundesnaturschutzgesetz verpflichtet dazu, bei Eingriffen in die Natur durch Baumaßnahmen an anderer Stelle einen Ausgleich zu schaffen. Diese Gelder sollen, so der Plan des BUND, deutschlandweit dem "Rettungsnetz für die Wildkatze" zugutekommen. Am Hainich waren die Verhandlungen mit Behörden, Umweltpolitikern, Landwirten und Bauträgern erfolgreich. Das motiviert die Artenschützer, wenn sie an die restlichen 19.980 Kilometer Katzen- korridore denken.
Die Autorin arbeitet als Redakteurin bei AFP in Berlin.