Heribert Prantl
Der Journalist warnt vor Hysterie in der Terrorbekämpfung. Die neuen Sicherheitsgesetze hält er für eine Gefahr für den Rechtsstaat
Herr Prantl, haben Sie etwas zu verbergen?
Natürlich. Sie und ich laufen ja auch nicht nackt durch die Gegend. Die neueren Sicherheitsgesetze verordnen einen Zwangs-Striptease besonderer Art: Unbescholtene Bürger werden vom Staat durchleuchtet und erfahren nicht einmal etwas davon. Ich will nicht, dass alles, was meine Person und meine Persönlichkeit ausmachen, irgendjemand irgendwo für irgendwelche Zwecke speichert.
Was wäre das?
Es wird so harmlos von "Daten" geredet. Diese Daten sind Puzzle-Stückchen einer Person: Wo und wohin fahre ich mit dem Auto? Mit wem telefoniere ich wann und wo über was? Welche Konten unterhalte ich, wer zahlt darauf ein, wohin überweise ich wie viel? Welche Internet-Seiten rufe ich auf? Wo fliege ich hin? Welche Dateien finden sich auf meinem Computer? All das summiert sich zu einem Persönlichkeitsbild. Und natürlich gibt es in meinem Beruf Dinge und Personen, die verborgen werden müssen - wie sollen denn Informanten geschützt werden, wenn Sicherheitsbehörden Verbindungsdaten kontrollieren und Lauschaktionen veranstalten können? Man soll nicht immer gleich die Pressefreiheit gefährdet sehen; aber hier ist sie es wirklich. Wenn die Sicherheitsbehörden leicht feststellen können, wer die Redaktion informiert hat, dann sind das Zeugnisverweigerungsrecht, das Berufsgeheimnis und die Pressefreiheit das Papier nicht mehr wert, auf dem sie stehen.
Das sind Dinge, die Sie als Privatperson und Journalist nicht mögen. Liest man Ihr Buch "Der Terrorist als Gesetzgeber", bekommt man Angst auch um größere Zusammenhänge: Es scheint schlecht zu stehen um den Rechtsstaat.
Auch bei der Pressefreiheit geht es um die großen Zusammenhänge. Sie ist kein Sonntagsreden-Grundrecht; das Aufdecken von Skandalen, die Debatte über die Konsequenzen daraus - das ist wichtig für das Funktionieren von Demokratie. Und auch bei meinem Protest gegen den Zugriff auf alle möglichen Daten geht es nicht um einen privaten Spleen. Wer keinen Anlass für staatliches Eingreifen gegeben hatte, der wurde früher vom Staat in Ruhe gelassen. Jeder konnte durch sein eigenes Verhalten den Staat auf Distanz halten. Man nannte das Rechtsstaat. Heute gilt man als potentiell verdächtig - solange bis sich durch Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen das Gegenteil ergibt. Meine Diagnose über unseren Rechtsstaat lautet also: Es steht nicht so gut um ihn.
Ist Deutschland kein Rechtsstaat mehr?
Das zu behaupten wäre Unsinn, zumal das Bundesverfassungsgericht da steht wie eine Eins. Aber ich stelle fest, dass dieser Rechtsstaat seit vielen Jahren an allen Ecken und Enden angefressen wird. Für sicher gehaltene Fundamente der Rechtsordnung brö-ckeln, Fundamentalgewissheiten sind nicht mehr gewiss, sogar die Absolutheit des Folterverbots wird in Frage gestellt. Es wird über Sanktionen sinniert gegen "Gefahrpersonen", die noch gar keine Straftaten begangen haben. Das sind Indikatoren für eine schon eingetretene Erosion des Rechtsbewusstseins. Gravierende Ermittlungsmaßnahmen und Grundrechtseingriffe waren früher nur dann möglich, wenn jemand konkret im Verdacht einer Straftat stand oder, im polizeirechtlichen Bereich, wenn eine Gefahr konkret wurde. Seit dem 11. September geht dieser Umbau des bisherigen Sicherheitssystems in ein Präventionssystem rasch voran. Der Staat will so früh wie möglich zugreifen und er tut dies mit Mitteln, die ursprünglich nur gegen verdächtige Straftäter erlaubt waren.
Als hauptverantwortlich für das "Anfressen" des Rechtsstaats gilt Ihnen vor allem Wolfgang Schäuble. Ist die Politik des Bundesinnenministers eine Gefahr für die Verfassung?
Ich glaube, dass die Innenminister bereits seiner langer Zeit an einer "deformation professionelle" leiden. Das Recht ist für sie, bei Schäuble besonders, weniger Garant der Freiheit als Diener der Ordnung. Im Wort Ordnung steckt das lateinische "ordo", das im Mittelalter die Ausrichtung allen Irdischen auf einen göttlichen Endzweck bedeutete. Was damals der göttliche Endzweck war, ist heute für maßgebliche Politiker die innere Sicherheit. Ihr ordnet sich alles unter, auch das Recht. Das ist ein falsches Verständnis von Recht. Recht dient auch der Freiheit, Recht sichert Freiheit.
Wenn die Instrumente der inneren Sicherheit nicht taugen - was kann der Staat tun, um seine Bürger vor dem Terrorismus zu schützen?
Terrorismus ist unbestritten eine große Gefahr. Noch gefährlicher ist es, seine Bedeutung zu überschätzen und in Hysterie zu verfallen. Der Terrorist ist nicht der Prototyp des Straftäters, eine Sicherheitspolitik, die sich auf Terrorismus fixiert, ist gefährlich. Der Staat muss alles tun, was er für die Bürger tun kann. Aber alles, was er tut, hat sich in den Grenzen von Rechts und Verfassung zu halten.
Wer glaubt, dass man den Terrorismus und Verbrechen besser bekämpft, wenn man Rechtsgarantien beiseite räumt, unterliegt einem furchtbaren Irrtum. Letztendlich muss der Staat seinen Bürgern auch sagen, dass er bei aller Sorgfalt einen absoluten Schutz nicht gewährleisten kann. Man muss akzeptieren, dass es Risiken gibt, die kein Rechtsstaat und vielleicht nicht einmal ein totalitärer Staat ganz beseitigen kann.
Ist Ihr unbeirrtes Festhalten am Wert der Freiheit nicht vergleichbar mit Schäubles Einsatz für die Sicherheit, nur am entgegengesetzten Pol?
Die Sicherheit ist in diesem Land nicht notleidend, sehr wohl aber sind es die Bürger- und Freiheitsrechte. Das Bundesverfassungsgericht ruft ja nicht ohne Grund ständig "Vorsicht" und "Halt" von Karlsruhe nach Berlin. Die herrschende Politik hat das Maß verloren.
Ihr Vertrauen in den Gesetzgeber und die Exekutive scheint gering. Fällt das Urteil über die Justiz optimistischer aus?
Mein Vertrauen in das Verfassungsgericht ist größer als das in den Gesetzgeber. Vielleicht ist es eine Schattenseite der in Wahlperioden getakteten Demokratie, dass Politiker im Angesicht sowohl von Gefahren als auch von bevorstehenden Wahlen einfach schnell reagieren wollen und vermeintliche Erfolge nachweisen müssen. Als Erfolg gilt vielfach ein Gesetz, mit dem man tatsächlich oder angeblich etwas bekämpft. So ein Gesetz ist billig, während eine bessere personelle und technische Ausstattung der Polizei Geld kostet und nicht so schnell als Erfolg darstellbar ist.
Sie haben einmal beklagt, es gebe kaum noch politische Hüter der Verfassung. Haben Sie selbst einmal darüber nachgedacht, diese Aufgabe zu übernehmen?
Das mache ich ja, im vielleicht bescheidenen Rahmen meiner Möglichkeiten. Auch die kritische Auseinandersetzung mit Politik ist Politik. Politischer Journalismus provoziert Nachdenken, verhilft zum Gespräch, ist die Bühne für lebendigen Streit -also für Demokratie. Das ist ähnlich wichtig, wie im Bundestag eine Rede zu halten.
Aber nimmt nicht die Frustration über das politische Personal zu, wenn Menschen, die wie Sie Kritik üben und Lösungen aufzeigen, keine Lust haben, Verantwortung zu übernehmen?
Ich habe jeden Tag Lust an meiner journalistischen Arbeit; und diese hat auch etwas mit Verantwortung zu tun. Ob ich Lust habe zu beweisen, dass man praktische Innenpolitik auch ganz anders machen kann als das derzeit geschieht? Das ist eine Frage von Gelegenheit und persönlicher und politischer Vita. Als politischer Kommentator wirke ich auch auf den politischen Meinungsbildungsprozess und erreiche vielleicht gelegentlich, dass so mancher Parlamentarier, der ansonsten auf Vorgabe seines Fraktionsgeschäftsführers die Hand gehoben hätte, noch einmal nachfragt und sich vielleicht selbst in die Dinge einarbeitet. Das ist doch gar nicht so wenig.
Das Interview führte Susanne Kailitz
Der Terrorist als Gesetzgeber. Wie man mit der Angst Politik macht.
Droemer Verlag, München 2008; 220 S., 14,95 ¤