Energieversorgung
Bündnisgrüne wollen »echten« Wettbewerb - Experten empfehlen Netz-AG
Alles wird teuerer - das gilt vor allem auch für Gas und Strom. Doch hier haben viele der Verdacht, dass die großen Versorgungsunternehmen den Markt in Deutschland aufgeteilt haben und so die Preise künstlich hochhalten können. Es kann doch kein Zufall sein, dass die Strompreise in ganz Deutschland am selben Tag erhöht werden, denken viele. Das hat auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erkannt und einen Antrag ( 16/8536) vorgelegt, der am 10. April erstmals im Bundestag beraten wurde. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert "echten Wettbewerb" auf den Energiemärkten zu schaffen und "faire Energiepreise" durchzusetzen.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen, Bärbel Höhn, erklärte, dass die vier großen Energiekonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW den deutschen Energiemarkt beherrschen. "Sie kontrollieren 80 Prozent der Stromproduktion und 100 Prozent der Übertragungsnetze", sagte sie. Die vier Unternehmen würden die Strompreise diktieren, die für viele Verbraucher zunehmend zu einer sozialen Last würden.
Laurenz Meyer (CDU/CSU) unterstützte den Inhalt des Grünen-Antrags, warf seiner Vorrednerin aber "große Unglaubwürdigkeit" vor. Einerseits würde sich über die vier großen Unternehmen beschwert, andererseits würde aber von Grünen alles getan, um den Bau von neuen Kraftwerken zu verhindern. Im Gegensatz dazu habe die Regierung in den vergangenen zwei Jahren viele Maßnahmen ergriffen, um für mehr Wettbewerb zu sorgen: Regulierung der Netzentgelte, Entflechtungsmaßnahmen, Verordnungen zur Erleichterung des Anbieterwechsels, Anreiz- regulierung, die Erleichterung des Anschlusses neuer Kraftwerke ans Netz und die Verbesserung der Preismissbrauchsaufsicht.
Auch für Gudrun Kopp (FDP) enthält der Grünen-Antrag viele Ungereimtheiten - im Gegensatz zum entsprechenden FDP-Antrag ( 16/8079), mit dem die hohen Energiepreise "an ihrer Wurzel bekämpft" werden sollen. Danach lasse sich die verkrustete Marktstruktur der deutschen Energiewirtschaft durch eine reine Verhaltensregulierung nicht in den Wettbewerb überführen. Ein intensiverer Wettbewerb sei vor allem dann zu erwarten, wenn das verfügbare Stromangebot durch den Bau neuer Kraftwerke die nachgefragte Strommenge deutlich übersteigt und insgesamt die Zahl unabhängiger Erzeuger sowie die wettbewerbswirksamen Strommengen spürbar ansteigen. Deshalb sollen die Betreiber der Energieversorgungsnetze ihre Netze in einer Gesellschaft zusammenzufassen und als "Joint Venture" einem unabhängigen Systembetreiber übertragen. "Wir wollen, dass die Energiepolitik in Deutschland strukturell gestärkt wird, betonte Kopp.
Rolf Hempelmann (SPD) erklärte, dass eine eigentumsrechtliche Entflechtung nicht zu niedrigeren Preisen und zu mehr Investitionen führen würde. Doch dürften die großen Unternehmen ihre Machtposition nicht zulasten von Verbrauchern ausnutzen können. Deshalb komme es darauf an, das Bundeskartellamt und auch die Bundesnetzagentur zu stärken. Im Gegensatz dazu setzte sich Ulla Lötzer (Die Linke) für eine eigentumsrechtliche Entflechtung der Übertragungsnetze ein.
Einen entscheidenden Anstoß bekam die Debatte durch einen Vorstoß der EU-Kommission, der höchst umstritten ist, wie eine Anhörung am 9. April offenbarte. Brüssel will die Mitgliedstaaten verpflichten, die Strom- und Gasnetze entweder eigentumsrechtlich völlig von der Energieerzeugung zu trennen oder den Leitungsbetrieb an eine gesellschaftsrechtlich vom Netzbesitzer unabhängige Einrichtung zu übertragen. Kartellamtspräsident Bernhard Heitzer und Matthias Kurth, Chef der Netzagentur, unterstützten die Bundesregierung bei deren Versuch, Brüssel auf diesem Weg auszubremsen. Berlin propagiert zusammen mit acht anderen EU-Ländern die "3. Option": Danach können Konzerne (wie auch Stadtwerke) Eigentümer von Leitungen bleiben, doch soll innerhalb der Unternehmen die Eigenständigkeit der Netzgesellschaften gestärkt werden. Diese "pragmatische Lösung", so Kurth, werde "substanzielle Fortschritte" bewirken. Sympathien für diese Option äußerten für die Konzerne Eon und RWE Johannes Teyssen und Heinz-Werner Ufer.
Der Vertreter der EU-Kommission, Heinz Hilbrecht, wies seinerseits darauf hin, dass in Staaten mit unabhängigen Netzbetreibern wie etwa Spanien größere Zuwächse bei Investitionen in Übertragungsleitungen und auch ein geringerer Anstieg bei den Strompreisen als in Ländern ohne Netzentflechtung zu verzeichnen seien. Befürwortet wird die Brüsseler Initiative vom Bundesverband Neuer Energieanbieter: Eine eigentumsrechtliche Abtrennung der Netze könne am ehesten allen Strom- und Gasverkäufern einen ungehinderten Zugang zur Einspeisung in die Leitungen garantieren.
Der Saarbrücker Professor Uwe Leprich wagte die Prognose, dass wie jetzt schon Eon auch andere Energieunternehmen ihre Netze künftig ohnehin zum Verkauf anbieten werden. Es werde in Deutschland dann zu einer unabhängigen Netz-AG kommen. Für diesen Fall traten Leprich und Holger Krawinkel vom Bundesverband der Verbraucherzentralen dafür ein, der öffentlichen Hand eine Mehrheit an dieser Gesellschaft zu verschaffen. Der Gelsenkirchener Professor Heinz-J. Bontrup forderte, die Strom- und Gasnetze als "natürliches Monopol" gänzlich in öffentliches Eigentum zu überführen.