Im Porträt
Jüdisches Leben in Deutschland
Nicht nur über die Juden in Deutschland reden, sondern mit ihnen - das ist das erklärte Anliegen, das Jürgen Bertram in seinem Buch "Wer baut, der bleibt" verfolgt. Mal als Reportage, mal als Porträt, mal als Interview wirft der Autor leicht lesbare Schlaglichter auf jüdisches Leben in der Bundesrepublik. Dabei ist sein Blick auf die Gesprächspartner selten distanziert-zurückhaltend. Fast immer reflektiert er gleichzeitig seine eigene Rolle als Nachkomme der "Täter", der Vertretern der "Opfer" gegenübertritt.
Diese Herangehensweise hat ihre Tücken. Zunächst ist es durchaus interessant zu lesen, dass sich der befangene Autor nicht traut, die angebotenen Sahnetörtchen zu essen, um die Gefühle der Gesprächspartnerin, die gerade von ihrer schrecklichen Vergangenheit erzählt, nicht zu verletzen. Es folgen jedoch immer wieder verschlungene Umwege, auf denen er sich aus Rücksicht auf Empfindlichkeiten dem eigentlichen Thema nähert. Oder er lutscht "pflichtschuldigst" Bonbons der jüdischen Gastgeber. Um jeglichen übertriebenen Philosemitismus zu vermeiden, antwortet Bertram seiner viel zu spät gekommenen Verabredung auf die Frage, ob die Verspätung schlimm sei, mit einem knappen "Nein". "Nein, überhaupt nicht" wäre seiner Ansicht nach sofort als peinliche Schleimerei des Abkömmlings aus dem Lager der Täter gegenüber dem der Opfer entlarvt worden - spätestens an dieser Stelle wird der Wunsch nach mehr Neutralität übermächtig.
Ob er mit seinem Buch seinen persönlichen Versöhnungsprozess abschließe, wird Bertram von einer Gesprächspartnerin gefragt. Diese Frage lässt sich getrost mit Ja beantworten und führt zuweilen zum Eindruck einer gewissen Beliebigkeit bei der Auswahl der Porträtierten. Da gibt es interviewte Juden, denen bedeutet die Religion alles, andere sind Atheisten. Da sind einige, die noch schlimmste Anzeichen von Traumatisierung durch den Holocaust zeigen, und andere, die achselzuckend äußern: "Antisemitismus gibt es überall."
Am spannendsten ist das Buch, wenn Bertram seinen Kapiteln aktuelle Thematiken vorgibt, wie beispielsweise Antisemitismus im Fußballstadion oder die Antipathien arabischer Jugendlicher gegenüber Juden. Sein Buch eignet sich als Ergänzung für jene Leser, die sich intensiver mit jüdischem Leben in der Bundesrepublik befassen wollen. Zu empfehlen ist das informative Werk "Unmögliche Heimat" des Historikers Anthony Kauders.
Wer baut, der bleibt. Neues jüdisches Leben in Deutschland.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M. 2008; 300 S., 9,95 ¤