Analysen
Michael Wolffsohns Klassiker über Israel
Die meisten Bücher schaffen es nicht über die erste Auflage hinaus - und das ist in vielen Fällen auch nicht bedauerlich. Auch wenn die Zahl der gedruckten Ausgaben nicht per se ein Qualitätsmerkmal ist, kann man konstatieren: Wenn ein Buch wie Michael Wolffsohns "Israel" bereits in der siebten Auflage herausgegeben wird, kann es als Klassiker gelten. Wolffsohn hat sein Buch vor über 20 Jahren das erste Mal veröffentlicht, den jetzt erschienenen Band hat er vollständig überarbeitet und aktualisiert.
Beibehalten wurde der breite Überblick über fast alle Aspekte des politischen und gesellschaftlichen Lebens: Vom Regierungssystem über Militär, Medien und Bevölkerungsstruktur bis zu Wirtschaftspolitik und Außenhandel wird jeder relevante Bereich abgearbeitet, gespickt mit Grafiken, Tabellen und vielen Zahlen. Das Buch ist schwere Kost: eher Nachschlagewerk als Lesebuch. Gelegentlich wäre dabei mehr Systematik wünschenswert gewesen und ein stärkerer Fokus auf den Ist-Zustand - statt allzu umfangreiche historische Abhandlungen mit starken Wertungen zu liefern.
Für Wolffsohn entstand das "neuisraelische Wir-Gefühl", das sich nach der Staatsgründung herausgebildet habe, sowohl durch die äußere Bedrohung als auch die beachtlichen Aufbauleistungen des kleinen Staats. Heute aber stecke Israel in einer Identitätskrise. Die Erkenntnis, dass "einige, und gar nicht so wenige Mitglieder des ‚Volkes der Opfer'" im Verlauf des arabisch-jüdischen Konflikts zu "Tätern werden" konnten, habe den "moralischen Lebensnerv der Juden in Israel und in der Diaspora" getroffen. Israelische Sozialwissenschaftler hätten eine "Erosion demokratischer Einstellungen" festgestellt, der Staat sei auf der Suche nach Idealen, an denen er sich orientieren könne. Gleichzeitig habe die Außenwelt "enttäuscht" darauf reagiert, dass "die überhöhten Erwartungen an den jüdisch-israelischen Übermenschen nicht erfüllt wurden".
Trotz dieser teilweise ernüchternden Bilanz ist Wolffsohn letztlich optimistisch: Was Israel und die Israelis in den vergangenen sechs Jahrzehnten geleistet hätten, sei überragend - und wenn das alte Kulturvolk seine alte Kultur nicht beiseite schiebe, werde es auch neue Herausforderungen bewäl- tigen.