Wirtschaft
Israel hat einen beeindruckenden Aufschwung vollbracht. Das macht das Land zu einem begehrten Partner
Die Mandelbäume im Kibbuz Harel stehen in voller Blüte. Nach dem Winterregen grünt es überall zwischen den Feldern, Weinreben und Pinien. Die sanften Hügel rund 30 Kilometer von Tel Aviv entfernt sind fruchtbar und gut zu bearbeiten - perfekt für die Landwirtschaft. In den Anfängen der jüdischen Besiedlung waren Landstriche wie diese die große Hoffnung der zionistischen Bewegung. Der "neue Jude" sollte naturverbunden sein und die Erde in "Eretz Israel" mit seinen eigenen Händen bearbeiten. Und idealerweise lebte er in einem Kibbuz, einem landwirtschaftlichen Kollektiv.
"Als Kind habe ich zwei Mal die Woche nach der Schule auf dem Feld geholfen. So war es üblich im Kibbutz", erzählt der 52-jährige Alon Schavit. "Die Erntezeit war ein großes Ereignis, wir haben damals noch alles selbst gemacht." Daran ist heute nicht mehr zu denken. Die meisten Mitglieder arbeiten außerhalb des Kibbuz in regulären Lohnverhältnissen. Die Haupteinnahmequellen sind inzwischen Tourismus, Kinderbetreuung und Vermietung eines Teils der Häuser. Die Landwirtschaft spielt nur noch eine marginale Rolle. Auf den Feldern arbeiten ausschließlich Gastarbeiter aus Thailand.
In den Anfangsjahren gehörte es zum zionistischen Traum, autark zu sein, aus eigenen Mitteln eine funktionierende Volkswirtschaft aufzubauen, die unabhängig ist von Lebensmittelimporten aus dem Ausland. Orangen pflücken wurde geradezu glorifiziert. Doch zur Integration von hunderttausenden Einwanderern reichte die Landwirtschaft nicht. Schnell wuchsen auch andere Branchen, darunter die Rüstungsindustrie und der Tourismus. Grundlegend gewandelt hat indes erst die Globalisierung die Ökonomie des jüdischen Staates. Israel kann sich zwar immer noch weitestgehend selbst versorgen. Doch die Agrarwirtschaft, die einst bei der "Grünen Woche" in der Bundesrepublik den Deutschen die bis dahin kaum bekannten Avocados und Kiwis nahebrachte, macht heute nur noch 2,8 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) aus.
Was die israelische Wirtschaft heute prägt, sind junge Leute wie Amir Peleg und Ishai Oren. In diesem Frühjahr haben die beiden Israelis ihr IT-Startup YaData mit gerade mal 18 Angestellten für einen mehrstelligen Millionenbetrag an den amerikanischen Software-Giganten Microsort verkauft. "Wir konnten zu Mikrosoft einfach nicht nein sagen", grinst Peleg.
Schon 1998 zählte das US-Magazin "Newsweek" die Mittelmeermetropole Tel Aviv zu den zehn technologisch einflussreichsten Städten der Welt. Der Landstrich zwischen Tel Aviv und Haifa machte sich als "Silicon Wadi" einen Namen - in Abwandlung von Silicon Valley, dem Inbegriff der IT-Industrie im südlichen Kalifornien. "Die Hightech-Revolution hat Israel radikal verändert", sagt der Wirtschaftsexperte Roby Nathanson, Chef des Israeli Institute for Economic and Social Research in Tel Aviv. "Es ist wie ein Traum, der Wirklichkeit wurde: Eine erfolgreiche Wirtschaft auf der Basis von Wissen." Besser konnte es nicht kommen, da Israel anders als viele Staaten der Region keine Rohstoffe besitzt.
Die von der IT-Branche angetriebene israelische Wirtschaft macht Israel relativ unabhängig von der nahöstlichen Instabilität. 2006, als der zweite Libanonkrieg die Region erschütterte, wuchs die israelische Wirtschaft unbeeindruckt weiter; im Quartal, das auf den Bombenhagel im Norden folgte, um acht Prozent - das höchste Wachstum in der westlichen Welt. Aufgrund des wirtschaftlichen Erfolgs haben die USA ihre Wirtschaftshilfe stark zurückgefahren. 2007 erhielt Israel nur noch ein Zehntel dessen, was das Land in den 70er-Jahren bekam - 120 Millionen Dollar oder 0,7 Prozent des BIP. Ursprünglich wollten die USA mit der finanziellen Unterstützung einen Ausgleich für die Embargopolitik schaffen.
Die Mehrheit der arabischen Staaten und der Iran kooperieren nicht mit dem jüdischen Staat oder mit Unternehmen, die mit Israel Geschäfte machen. Auch in Großbritannien ist mehrfach dazu aufgerufen worden, wegen des Konflikts mit den Palästinensern israelische Produkte nicht zu kaufen sowie israelische Forscher und Universitäten zu schneiden. Doch angesichts der Globalisierung ist die aus dem Anti-Apartheid-Kampf stammende Protestform eine stumpfe Waffe geworden. Da israelisches Knowhow in direkter oder indirekter Form fast in jedem Computer zu finden ist, wird ein Boykott heute de facto unmöglich. "Wenn die Briten aufhörten, Computersysteme aus Israel zu verwenden", spottet der israelische Parlamentsabgeordnete Otniel Schneller von der Regierungspartei Kadima, "würde Großbritannien nicht mehr funktionieren können."
Der große Erfolg des kleinen Landes hat viele Gründe. Einer ist die enge Verbindung zu den USA, dem Ausgangspunkt der weltweiten IT-Revolution.
Ein anderer ist die Masseneinwanderung der russischen Juden in den 90er-Jahren, darunter viele hoch motivierte Techniker und Ingenieure. Ein dritter war die Sanierung der Militärindustrie, die ebenfalls hervorragend ausgebildetes Hightech-Personal in die Privatwirtschaft brachte. Wer in den Anfangsjahren in Israel Talent hatte, ging zur Armee, zum Geheimdienst oder in die Militärindustrie, so Shai Agassi, ehemals Vorstandsmitglied bei dem deutschen Softwareriesen SAP und einer der erfolgreichsten israelischen IT-Unternehmer. "Der Job bestand darin, sich Gedanken um die Überlebenssicherung Israels zu machen", sagt er. "Das hat eine Generation von Experten hervor gebracht, die die Basis für Israels spätere Hightech-Industrie bildete."
In kleinen Gruppen verließen diese "Überlebenstechniker" in den 80er-Jahren die Sicherheitsapparate und gründeten ihre eigenen Firmen. Sie sind die zweite Generation. Die dritte schließlich, zu der auch der 39-jährige Agassi zählt, denkt vor allem an den individuellen Nutzen: "Jemand bekommt in der Armee eine Vorstellung beispielsweise von Sicherheitssystemen und sagt sich nach dem Militärdienst: Das kann man doch auch für PCs und Server machen."
Die israelische Wirtschaft wird durch das IT-Wunder nicht nur unabhängiger von der ständigen Unruhe im Nahen Osten. Die Stärke in der Hochtechnologie wie in der Forschung überhaupt, macht Israel auch zum begehrten Partner in Europa. In Israel liegt beispielsweise der Prozentsatz der Beschäftigten im IT-Bereich bei 7,6 Prozent, in Deutschland sind es nur 3,9 Prozent. "Wir sind in allem etwas innovativer, etwas schneller und auch etwas kostengünstiger ", sagt Schimon Stein, ehemaliger israelischer Botschafter in Berlin.
In Brüssel hat man das längst erkannt. Israel ist das erste nichteuropäische Land, das dem Rahmenprogramm für Forschung und Technische Entwicklung (RTD) beigetreten ist. Israelische Wissenschaftler sind seit dem Jahr 2000 an nicht weniger als 500 Forschungsprojekten beteiligt. "Israel ist ein Power-Haus", sagt Ramiro Cibrián-Uzal, Leiter der Delegation der Europäischen Kommission in Tel Aviv. Unter anderem ist der jüdische Staat auch bei dem europäischen Satelliten-Navigationssystem Galileo mit von der Partie - ein Konkurrenzprojekt zum amerikanischen GPS.
Diese enge Zusammenarbeit ist keine Ausnahme. Politisch mögen die USA engster Bündnispartner sein, aber wirtschaftlich ist keine Region für Israel bedeutender als die EU. "Das Verhältnis zur Europäischen Union ist viel wichtiger als es in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird", so Nathanson. Die Union ist Israels größter Handelspartner, noch vor den USA. Ein Drittel der israelischen Exporte geht in die EU, 40 Prozent der Importe kommen aus der EU.
"Die Zahlen sprechen für sich", sagt Jonathan Spyer, EU-Experte des Interdisziplinären Center Herzliya (IDC). "Die EU ist heute ein vitaler Bestandteil der israelischen Ökonomie." Die Annäherung an die EU hat vor allem die Bundesrepublik gefördert, nachdem 1965 diplomatische Beziehungen aufgenommen wurden. Zehn Jahre später schloss Israel mit der Europäischen Gemeinschaft ein erstes Kooperationsabkommen. Dass die Deutschen in Brüssel als Türöffner fungierten, stellte sich später als wirtschaftlich bedeutender heraus als die Reparationszahlungen, die in den 50er-Jahren begannen. Israels glänzende Wirtschaftsleistung hat auch eine Kehrseite.
Die Gesellschaft fällt auseinander in eine gut verdienende Mittelschicht und arme religiöse Juden mit vielen Kindern, die am Wirtschaftsleben kaum teilnehmen, die arabische Bevölkerung Israels sowie die Rentner. Sogar der Internationale Währungsfonds (IWF) hat in den vergangenen Jahren die Schieflage bemängelt. Bei den Wahlen vor zwei Jahren spielte die soziale Frage eine große Rolle. Im vergangenen Sommer erschütterten Proteste von Holocaust-Überlebenden die israelische Öffentlichkeit, die in großer Zahl unter Altersarmut leiden. Mehr Geld müsste auch in Bildung und Kinderbetreuung investiert werden.
Doch allein 17 Prozent des BIP werden in Israel für Verteidigung und Sicherheit ausgegeben - in Europa sind es nur 1,5 bis 2 Prozent, in den USA 3,5 Prozent. Lehrer werden geradezu beschämend schlecht bezahlt. "Wir müssen viel, viel mehr tun", warnt Nathansohn. "Sonst könnte Israel das verlieren, was heute ein großer Wettbewerbsvorteil ist."
Die Autorin ist Nahost-Korrespondentin
der "Financial Times Deutschland".