INTERVIEW
Angelika Schrobsdorff über ihre Zeit in Israel
Sie sind seit zwei Jahren wieder in Deutschland. Wie haben Sie sich eingelebt?
Überhaupt nicht. Das ist nicht mein Land.
Was ist denn Ihr Land?
23 Jahre lang war es Jerusalem. Das ist eine magische Stadt. Viele hassen sie, weil sie schwer ist, alttestamentarisch. Aber ich liebe sie.
Warum wollten Sie Ihr Leben nicht in Israel beschließen?
Weil das nicht mehr mein Israel war. Wenn man durch die Maschinerie gegangen ist, durch die ich gegangen bin und sich immer diskriminiert, bedroht und verfolgt gefühlt hat, ist das traumatisch. Wenn man zur Seite der Opfer gehört, will man nicht, dass das Land, in dem man Zuflucht gefunden hat, sich verdreht, Menschen diskriminiert und scheußlich behandelt werden.
Sie haben Deutschland 1939 verlassen und sind mit ihrer Mutter nach Sofia gegangen. Warum nicht nach Palästina?
Daran hat sie nie gedacht. Meine Mutter hat sich lange geweigert, Deutschland zu verlassen. Sie verdrängten das so lange bis sie keine Möglichkeit mehr hatte, aus Deutschland herausrazukommen. Man fand dann über Geschäftskontakte meines Vaters ausgerechnet einen Bulgaren, der sich gegen Geld bereit erklärte, eine Scheinehe mit meiner Mutter zu schließen, so dass wir raus kamen.
Sie kamen 1961 das erste Mal nach Israel. Wie war Ihr erster Eindruck?
Es war herrlich. Ich habe die erste Palme gesehen, als ich auf der alten Straße nach Jerusalem fuhr. Das war wie tausend und eine Nacht. Ich hatte ein sehr hässliches Zimmer, aber als ich aufwachte und dieses Licht auf mich strömte, war das ein Glücksgefühl. Das war das Gefühl von Heimat.
Sie blieben aber nur drei Monate und kamen erst 1983 endgültig nach Israel.
Ich hatte vorher in Paris gelebt und mich sehr unwohl gefühlt, weil ich immer nur nach Jerusalem wollte. Dort war es in den ersten drei Jahren sehr schwer. Dann fand ich die schönste Wohnung auf der Welt. Ich stand vor dem Haus und hörte mich sagen: Das und kein anderes. Es war auf der Grenze, im ehemaligen Niemandsland. Vor mir war ein palästinensisches Dorf und hinter mir die Israelis.
Wie stark war die Politik in Ihrem Alltag spürbar?
Sehr stark. Im selben Haus lebte eine Familie mit vier Kindern, Hunden und Katzen. Weil das sehr eng war, bauten sie einen Neubau an. Damit bekamen wir einen Luftschutzkeller, denn der war vorgeschrieben. Es gab damals oft Alarm, wegen des Golfkriegs. Wir hatten auch Gasmasken und diese Dinge.
Lebten Sie in Israel als deutsche Jüdin oder Israelin?
Durch meine Mutter bin ich Jüdin, aber von meinen verrückten Eltern bin ich evangelisch getauft worden. Deshalb musste ich offiziell zum Judentum zurückkehren. Das habe ich schon 1970 gemacht. Einen israelischen Pass hatte ich nicht.
War es nicht schwer, so zu leben?
Ja, furchtbar. Das ist irgendwie eine ewige Zerrissenheit.
Haben Sie hebräisch gelernt?
Das Hebräisch der Straße. Die Sprache hat mich sehr interessiert, aber sie ist wahnsinnig schwer zu lernen. Außerdem schrieb ich ja weiter. Schreiben und Hebräisch lernen ging nicht zugleich. Ich habe mich fürs Schreiben entschieden.
Was war der Grund, das Land wieder zu ver-lassen?
Die Gesellschaft war nicht das, was ich von Juden erwartet hatte - auch wenn das nur meine naiven Erwartungen waren. Ich verstehe, dass sie gelernt haben, sich zu wehren. Trotzdem hatte ich gehofft, sie würden es auf eine andere Art machen.
Haben Sie in dieser Zeit eigentlich darüber nachgedacht zu bleiben und sich politisch zu engagieren?
Nein, ich habe auf verlorenem Posten gestanden. Von Menschen, die dort aufgewachsen sind, kann man nicht erwarten, dass sie sich gegen das Land und seine Methoden stellen.
Haben Sie noch Hoffnung auf Frieden?
Wie soll das gehen? Ein zerstückeltes Palästina mit Checkpoints wie Bäumen im Wald? Selbst wenn sie das akzeptieren würden: Glauben Sie, dass die Palästinenser oder die Israelis Jerusalem aufgeben würden?
Hatten Sie einen Lieblingsort in Jerusalem?
Die judäische Wüste mit ihrer Stille ist das Schönste, was es gibt. Jerusalem ist ja das Tor zur Wüste. Das ist mein Zuhause.